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Kultur: Küss mich, Frosch

Die Sammlung Falkenberg entwickelt in der Potsdamer Villa Schöningen subversive Kraft

Die Eltern nicht da, das Haus den Kindern ausgeliefert: So dürfte es aussehen, wenn man das Haus eine Nacht lang dem Nachwuchs überlässt. Albert, Georg, Werner und Martin wollten immer schon mal zeigen, wie viel anarchisches Potential in ihnen steckt. „Aktion Pisskrücke“ steht an der einen Zimmerwand, „Facharbeiterficken“ erfreut im Raum nebenan. Auf dem Parkett ist eine venezianische Gondel gestrandet, die als „Sozialkistentransporter“ den unsäglichen 80er-JahreBegriff der Beziehungskiste persifliert. Daneben hängt jede Menge Bildgewordenes zur juvenilen Seelenlage: Es wird geliebt, gelitten und genagelt.

Natürlich speist sich das Potential dieser kritischen Geister nicht aus ewiger Jugendlichkeit. Sondern aus dem Protest gegen alle Formen von Erwachsensein, die mit fauler Zufriedenheit und Kompromissen einhergehen. Tatsächlich sind Albert Oehlen, Georg Herold und Werner Büttner inzwischen jenseits der fünfzig und Martin Kippenberger ist als Folge allzu intensiven Lebens 1997 gestorben. Und doch erfüllen ihre Bilder die Villa Schöningen in Potsdam mit einer Kraft, die weit über bloße Gesten hinausreicht. Vieles wirkt wie frisch aus dem Atelier und erstaunlich gegenwärtig. Dabei entstanden die Werke vor zwei bis drei Jahrzehnten. Doch Kippenbergers gekreuzigter Holzfrosch (1990), der sich unauffällig zwischen die Gemälde reiht, vermochte 2008 in einer ähnlichen Version im Bozener Kunstmuseum noch einen Skandal zu entfachen. Das spricht für die Zeitlosigkeit der Künstler – und für den Hamburger Sammler Harald Falckenberg, der die Ausstellung an der ungewöhnlichen Adresse komplett aus seinem Fundus bestreitet.

Ungewöhnlich, weil die Villa Schöningen nach ihrer Sanierung mit der ästhetischen Aufarbeitung der Ost-West-Vergangenheit begonnen hat. Als privates Projekt unmittelbar an der Glienicker Brücke, wo bis zum Mauerfall regelmäßig Agenten ausgetauscht wurden. Das sieht erst einmal gar nicht nach einem Zuhause für Künstler aus, die vorrangig an der Demontage interessiert sind. Zu ätzend ihr Spott, zu albern die Pointen und zu groß die Abneigung gegen alles Bürgerliche.

Und doch hat Falckenberg das perfekte Einstiegsloch gefunden, durch das der quere Humor jener vier in die Villa sickert und ihren repräsentativen Charakter aushöhlt. Die Kunst, meint der Sammler, habe vorweggenommen, was sich „gut zehn Jahre später mit der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch des Ostblocks auch politisch vollzog“. An die Stelle verbindlicher Systeme sei die Vielfalt der Postmoderne getreten. Eine Zeit, die einem im Rückblick ziemlich beliebig vorkommen kann. Oder aber als Chance einer intellektuellen Freiheit, die keine feste Orientierung mehr kennt und deshalb alle Möglichkeiten zumindest deklinieren kann. Büttner hat das 1990 mit einem Linolschnitt auf den Punkt gebracht: „Jedes Leben ist auch ein verpfuschtes Leben“.

Dann aber bitte mit Karacho in die falsche Richtung. So gibt es in der Ausstellung mit dem vertrackten Titel „Wahrheit ist Arbeit“ kein stilistisches Halten und keine Tabus. Kein Kalauer ist peinlich genug, um ihn nicht noch einmal zu bearbeiten. Ein Spruch wie „Bekannt durch Film, Funk, Fernsehen und Polizeirufsäulen“ resultiert aus jenem Versuch, die bittere Brühe der Platitüden noch einmal kräftig aufzurühren. Um zu sehen, was vom Grund nach oben treibt. „Meine Frau liest und Deine?“ fragt Büttner 1993. Und überpinselt das konventionelle Frauenporträt eines anonymen Malers mit blaugrauer Farbe. Drastischer formuliert es Kippenberger, wenn er „Tote Frau wie Taubenscheiß“ auf die Leinwand bringt. Sein „Modell Toscana“ von 1989 zitiert als Skulptur ein Stück Ofenrohr und zielt damit auf alle, die sich damals ein Stück mediterrane Beschwingtheit in ihre bundesdeutsche Enge zu holen suchten.

Viele der Arbeiten sind bekannt, andere zeigt Falckenberg zum ersten Mal öffentlich. Doch während etwa der „Sozialkistentransporter“ jüngst erst in der BRD-Leistungsschau „60 Jahre – 60 Werke“ ziemlich beziehungslos durch den Gropius-Bau gondelte, komprimiert die aktuelle Ausstellung die Ideen einer Generation, die ihre Hoffnungen mit Respektlosigkeit tarnten. „Ich will auch nur ein warmes Plätzchen, von wo aus ich Menschen für eine gute Sache abknallen kann“, hat der 1954 in Jena geborene Büttner einmal konstatiert. Während man im neu angelegten Skulpturengarten der Villa Schöningen sitzt und Kaffee trinkt, glaubt man ihn an einem Fenster des Hauses mit der Knarre fuchteln zu sehen.

Villa Schöningen, Berliner Str. 86, Potsdam, bis 31.10., Di-Fr 11-18, Sa/So 10-18 Uhr

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