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Kultur: Kultur der Ermunterung

Paul Kennedy erklärt die Überlegenheit der Alliierten im Zweiten Weltkrieg.

Wann entschied sich der Zweite Weltkrieg? Und wodurch? Zu diesen Fragen haben Historiker bereits Bibliotheken gefüllt. Nun stellt Paul Kennedy ein weiteres Werk hinzu. Lohnt sich die Lektüre nach all den Vorarbeiten und Publikationen seiner Kollegen in den vergangenen Jahrzehnten? Zwar entwickelt der in Yale lehrende Historiker keine wirklich neue Sichtweise auf den Zweiten Weltkrieg, wie der Klappentext seines Werkes verspricht. Aber dies ist auch gar nicht notwendig, um sein Buch zu empfehlen. Sein anschaulicher Erzählstil und seine Fähigkeit, auch kompliziertere historische Sachverhalte für ein größeres Publikum in einer leicht nachvollziehbaren Darstellung aufzubereiten, sind Grund genug, zu diesem Buch zu greifen – wie auch schon bei seinen internationalen Bestsellern „Aufstieg und Fall der großen Mächte“ aus dem Jahr 1989, „In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert“ (1993) oder zuletzt „Parlament der Menschheit“ (2007) zur Geschichte der Vereinten Nationen.

Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen, nennt Kennedy als einen offensichtlichen Faktor die imperiale Ermüdung der Achsenmächte. Denn bereits die Statistiken zeigen, dass die Kriegsmaschinerien Deutschlands und Japans, die über Jahre mit erstaunlicher Heftigkeit und Effizienz gekämpft hatten, durch ihre politischen und militärischen Führungen geografisch überdehnt wurden und schließlich angesichts der gesammelten materiellen Macht des britischen Empire, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zusammenbrachen. So hatte die militärische Produktivkraft der Alliierten 1942 erst gleichauf mit den Achsenmächten gelegen, um sie dann 1943 zu überholen und 1944 weit voraus zu sein.

Doch die Erklärung des alliierten Sieges durch materielle Überlegenheit ab 1943/44 reicht in Kennedys Augen nicht aus. Vielmehr stellt er die These auf, dass die Produktionsdifferenzen von zwei weiteren Variablen beeinflusst wurden: zum einen durch die Geografie und ihre größere oder geringere Einbeziehung durch Planer, Konstrukteure und Entscheidungsträger auf beiden Seiten, zum anderen durch die Schaffung von Systemen zur Kriegführung, die Rückkopplung, große Flexibilität, die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, und eine „Kultur der Ermutigung“ verbanden. Denn dies habe den Personen auf der mittleren Entscheidungsebene in diesem harten Konflikt die Freiheit gegeben, zu experimentieren, Ideen und Meinungen zu äußern und institutionelle Grenzen zu überschreiten.

Kennedy zitiert Winston Churchill, der davon überzeugt war, dass der Krieg durch die „richtige Anwendung“ von Stärke gewonnen werden müsse – bloße Zahlen genügten nicht. So hatte es wenig Sinn, der Royal Air Force noch ein paar tausend schwere Bomber mehr zu geben, wenn das Bomberkommando seine Ziele nicht lokalisieren konnte, wie Churchill ihm im September 1944 vorgeworfen hatte. Oder Tausende von Frachtschiffen zu bauen hätte den Krieg nicht mit entschieden, wenn die Alliierten keinen Weg gefunden hätten, die deutschen U-Boot-Gruppen im Zentralatlantik zu schlagen. Auch die Größe des amerikanischen Marine Corps zu verfünffachen hätte keine Bedeutung gehabt, wenn es nicht gelungen wäre, die Marines auf feindlichen Stränden zu landen und von dort aus weiter angreifen zu lassen. Und auch zehntausend sowjetische Panzer wären nicht mehr als ein großer Haufen Stahl gewesen, hätte nicht jemand die Lösung gefunden, wie man sie mit Treibstoff, Öl und Munition versorgt – Beispiele, anhand derer Kennedy verdeutlicht, dass der Zweite Weltkrieg durch die „intelligente Anwendung“ überlegener Stärke gewonnen wurde, um Winston Churchills Formulierung weiterzuentwickeln.

Zu dieser „intelligenten Anwendung“ zählt Kennedy insbesondere auch die Fähigkeit zur Rückkopplung zwischen oberer, mittlerer und unterer Ebene sowie zur Anregung von Initiative, Innovation und Einfallsreichtum. Hier sieht er zu Recht die Amerikaner und Briten den Deutschen und Japanern überlegen. Denn nicht nur im Zweiten Weltkrieg, sondern im Krieg an sich erfordert das Gewinnen nach Kennedys Analyse letztlich immer eine überlegene Organisation und dies wiederum Menschen, die solche Organisationen steuern können – „nicht mit Scheuklappen, sondern sehr kompetent und auf eine Weise, die es Außenseitern erlaubt, neue Ideen für den Sieg einzubringen“.

Nichts davon sei allein durch die Personen an der Spitze zu vollbringen, so genial und energisch sie auch sein mögen. Es müsse ein Unterstützungssystem geben, eine Kultur der Ermutigung, wirksame Rückkopplungen, die Fähigkeit, aus Rückschlägen zu lernen und Dinge zu verwirklichen. Und all dies müsse besser gelingen als beim Gegner. Damit weist Kennedy auf einen entscheidenden Faktor für den Ausgang von Waffengängen hin, der weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus Bedeutung hat.Thomas Speckmann

Paul Kennedy:

Die Casablanca-Strategie. Wie die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen. Januar 1943 bis Juni 1944. C. H. Beck Verlag, München 2012. 448 Seiten, 24,95 Euro.

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