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Kultur: Kultur der Hauptstadt: Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte

Schrecklich war das Jahr 68/69 in Rom. Man spricht vom "Dreikaiserjahr", streng genommen sogar vom "Vierkaiserjahr", wenn man Vespasian mitrechnet, der dem Chaos ein Ende setzte.

Schrecklich war das Jahr 68/69 in Rom. Man spricht vom "Dreikaiserjahr", streng genommen sogar vom "Vierkaiserjahr", wenn man Vespasian mitrechnet, der dem Chaos ein Ende setzte. Einer jener unglücklichen Kurz-Kaiser war Galba. Er schaffte sich zu viele Feinde, als er kurzerhand sämtliche Privilegien strich, die sein Vorgänger Nero verschwenderisch verteilt hatte. Ein anderer, Otho, erklärte, er müsse Kaiser werden, um seine privaten Schulden zu begleichen. Vitellius warf sich in eine Orgie, als feindliche Truppen anrückten.

So waren die Zustände im alten Rom. Sie erinnern von fern an die Berliner Kulturpolitik, an eine Stadt, die mit Geschichte befrachtet ist wie keine zweite in Deutschland. Und die noch immer an den Auswirkungen der Teilung laboriert, auch wenn viele glitzernde Neubauten die historischen Bruchstellen überdecken. Berliner Politik, nicht Bundespolitik, ist eine Art umgedrehte Archäologie: Man gräbt Altlasten aus, um sie zu entsorgen, und nicht, um sie zu konservieren. Da liegt noch immer viel im Boden.

Das Jahr 1999/2000 wird als Drei-Senatoren-Jahr in die Geschichte eingehen. Peter Radunski zog sich am Abend der Abgeordnetenhauswahl Knall auf Fall zurück und hinterließ einen Riesenhaufen unerledigter Arbeit. Christa Thoben, seine Nachfolgerin, kam ins Rechnen und Grübeln erst, nachdem sie schon ernannt war, und warf binnen weniger Monate die Brocken hin. Unter den gegebenen finanziellen Bedingungen, sagte Thoben, sei der Job nicht zu machen. Was den nächsten in der Reihe, Christoph Stölzl, eher befeuerte. Er sagte sofort zu, als der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen ihn anrief. Stölzl verhandelte nicht. Kultursenator in Berlin, das ist sein Traumjob. Und der Historiker Stölzl weiß: "Demokratie ist seit 1789 der Streit ums Geld." Am heutigen Donnerstag wird weiter gestritten. Die Kulturpolitik ist Thema einer Aktuellen Stunde im Abgeordnetenhaus.

Stölzl ist ein gutes halbes Jahr im Amt. Die Guillotine hat er freilich nicht eingeführt. Er muss mit dem Käsemesser operieren. Objektiv betrachtet, steht auch er auf der Kippe, von Anfang an. Am Millionendefizit, an der Unterfinanzierung des Berliner Kulturhaushalts hat sich substanziell nichts geändert. Wie auch? Die Stimmung, die sich nach Stölzls fröhlichem Amtsantritt vorübergehend aufgehellt hatte, verdüstert sich. Das mit Spannung erwartete Opern-Strukturreform-Papier, das Stölzl vorgelegt hat, flattert schon wieder wie ein gelbes Blatt im herbstlichen Wind. Zu vage erscheint es in seiner künstlerischen Zielsetzung, die Leitungsfrage der angepeilten Opern-Konstruktion ist vollkommen offen, die Einsparmöglichkeiten unklar, der Zeitrahmen kaum nachvollziehbar. Hätte sich Stölzl ein wirklich radikales Papier leisten können? Wäre er damit nicht sogleich gegen eine Berliner Mauer aus Bewegungsfaulheit und Veränderungsfeigheit gelaufen?

In diesen Tagen geht Stölzls Papier auf den parlamentarischen Weg. Letzten Montag gab es eine erste Runde im Kulturausschuss, am Freitag trifft sich der Unterausschuss Theater. Dort werden die Berliner Intendanten erwartet: zum Schaulaufen, zum Tribunal. Man muss kein Pessimist sein, um vorherzusehen, dass am Ende von der Vorlage nicht viel übrig bleibt. Das liegt an den Berliner Verhältnissen.

Sämtliche Parteien sind sich zwar einig, dass die Kultur zum Zukunftspotenzial der Hauptstadt gehört. Seltsamerweise aber findet sich nicht jenes erstklassige Personal, das man im Berlin des Jahres 2000 erwarten dürfte - nicht in der Kulturpolitik und auch nicht überall in den Kulturinstitutionen. Hätte man die entsprechenden Persönlichkeiten, ließe sich auch eine Opernreform, die zum Schwierigsten überhaupt zählt, sinnvoll ins Werk setzen. Aber so ist es nicht. Kulturpolitik gilt in Berlin als Horrorjob. Christoph Stölzl ist die Ausnahme von dieser Regel. Daraus ergibt sich eine selten paradoxe Situation: Berlins Kultur scheint überpolitisiert, bei notorischer Unterbesetzung der Ämter und Gremien.

Im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses wird die Problematik greifbar. Die Vorsitzende Monika Grütters gilt als kompetent und eloquent - eine Nachwuchshoffnung der Berliner CDU. Doch für den Posten des Kultursenators stand sie nicht zur Verfügung, obwohl Diepgen sie nach dem Thoben-Rücktritt bekniete. Eine persönliche Absage - aber auch symptomatisch. Denn sie weiß wohl um die Gefahr eines schnellen Karriereknicks, der hier drohte.

Der Ausschuss, dem Monika Grütters vorsitzt, hat den Auftrag, kulturpolitische Ideen zu diskutieren, Rahmenbedingungen zu definieren. Dazu fehlt diesem Gremium insgesamt aber der Sachverstand, der Esprit. Wie schon seit uralten West-Berliner Zeiten, führt noch immer ein Kalter Krieger wie Uwe-Lehmann Brauns (CDU) das Wort - gegen biedere PDS-Vertreter. Dem ökonomischen Diktat hat der Kulturausschuss intellektuell kaum etwas entgegenzusetzen. Das ist, wenn Kunst nur noch übers Geld verhandelt wird, fatal. Tatsächlich hat sich das parlamentarische Gewicht (und das Medieninteresse) in den so genannten Unterausschuss Theater verlagert, der seit Beginn des Jahres öffentlich tagt - immer vor vollem Haus.

Dies ist ein Finanzausschuss, dort liegt jetzt die Macht. Und es zieht dort ein ausgeschlafener Machtpolitiker die Fäden - Klaus Wowereit, der Fraktionsvorsitzende der Berliner SPD. Senator Stölzl wird von dem SPD-Tribun ein ums andere Mal vorgeführt, was die tapfere Alice Ströver von den Bündnisgrünen zu der Frage veranlasste, wozu Wowereit, ein Spitzenpolitiker der Großen Koalition, eine derartige "Generaloppositon" betreibe.

Klaus Wowereit hat erkannt: Kulturpolitik ist in Berlin ein Machtfaktor. Der Fall Radunski, der Fall Thoben, ein möglicher Fall Stölzl - das führt inzwischen dicht an Diepgen heran. Der Regierende Bürgermeister kann sich, ohne selbst schweren Schaden zu nehmen, eine weitere kulturpolitische Pleite nicht mehr leisten. Gewiss hat Wowereit höchste Ambitionen in der Berliner SPD. Es kursiert auf Bundesebene die Verschwörungstheorie, dass Wowereit sich anschickt, über die Kulturpolitik die augenblickliche Konstellation im Senat zu kippen. Wären Neuwahlen die Lösung?

In der Kulturszene bereitet sich auf einigen wichtigen Positionen immerhin der überfällige Wechsel vor. Berlinale-Chef Moritz de Hadeln, Festspiele-Intendant Ulrich Eckhardt, Thomas Langhoff, der Intendant des Deutschen Theaters, und Götz Friedrich, Generalintendant der Deutschen Oper, treten nach Jahren und Jahrzehnten ab. In der Politik wechseln immer nur die Kultursenatoren, die Spitze bleibt. Eisern. Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky, der Fraktionsvorsitzende der CDU, betreiben seit ewig Politik nach Gutsherrenart. Das zeigt das Beispiel Lotto: Früher wurden mit Lotto-Millionen alle möglichen Löcher im Kulturetat gestopft, ab 2001 sprudelt diese Quelle nicht mehr. Es ist das Geld, das Stölzl so bitter fehlt. Oder das Beispiel Philharmoniker: Diepgen weigerte sich, das berühmte Orchester in Bundesregie zu geben. Stölzl war dafür, der finanzielle Effekt wäre enorm gewesen, doch der Regierende klammerte sich an ein Symbol. Als hätte Staatsminister Michael Naumann die Philharmoniker nach Bonn oder Brüssel verkaufen wollen. Beispiel Museumsinsel: Der Senat irritiert den Bund, da Berlin offensichtlich seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Diepgens Senat macht es der Bundesregierung leicht, die Mittel für die Hauptstadtkultur auf dem gegenwärtigen Minimalniveau festzuschreiben. Denn das wird so kommen müssen: dass sich der Bund, das große Berlin, für seine Hauptstadt und ihre Kultur in Dimensionen engagiert, die heute noch utopisch wirken. Berlin, das kleine Berlin, der arme Stadtstaat, schafft es nicht allein. Daraus folgt aber auch, dass die Anforderungen an die hier handelnden Personen, zumal in der Kulturpolitik, die allergrößten sind. Man darf jetzt keinen Fehler mehr machen.

Wie heißt es zutreffend in Stölzls Opernpapier, gleich zu Beginn? "Was sich heute als Krise der Berliner Bühnen darstellt, ist eine Folge von politischen und kulturpolitischen Entscheidungen und Setzungen der letzten zehn Jahre." Auf gut Deutsch: Die Berliner Politik hat geschlafen. Zehn Jahre lang. Das Schiller-Theater wurde liquidiert - in einem Anfall von Aktionismus, der den Senat teuer zu stehen kam. Theaterschließungen, selbst wenn sie geboten wären, sind seither kategorisch ausgeschlossen.

Hat Stölzl Rückendeckung im Senat? Auch er kann sich dessen nicht sicher sein. Auch er gerät in die Verlegenheit, die alte Berliner Luft als frischen Wind verkaufen zu müssen. Die Aussichten für die nächsten Monate? Immer so weiter. Bis zum Crash ...

Rüdiger Schaper

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