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Kultur: Kultur und Finanzierung: Privatisiert die Bezirksbibliotheken!

Manchmal gehe ich immer noch in die Stadtbibliothek. Es ist eine Angewohnheit aus Kindertagen.

Manchmal gehe ich immer noch in die Stadtbibliothek. Es ist eine Angewohnheit aus Kindertagen. In Berlin sagt man ja "Bezirksbibliothek". Früher habe ich manchmal gefragt, ob sie dieses oder jenes Buch da haben, eine interessante Neuerscheinung, oder dieses Gen-Zeugs, das man heute lesen muss, um mitreden zu können. Aber inzwischen habe ich kapiert, dass es keinen Sinn hat. Alles, was in den letzten zehn Jahren geschrieben wurde und Furore gemacht hat, fehlt oder ist gerade ausgeliehen. Man muss mit dem zufrieden sein, was man kriegt. Ein Besuch in der Bezirksbibliothek ist ein bisschen wie ein Einkaufsbummel in der DDR. Aber das macht nichts. Wenn ich ein Buch nicht neu kaufen möchte, suche ich im Internet, da kriegt man fast alles antiquarisch.

Allmählich frage ich mich nach dem Sinn der Stadtbibliothek. Es sind nicht viele Leute dort, meistens Rentner. Der einzige Ort, wo Gedränge herrscht, ist der Arbeitsbereich hinter dem Verleihtresen. In der Bibliothek arbeiten meistens Frauen mittleren Alters, drei oder vier oder sogar fünf, die mit der Hand Karteikarten beschriften oder die Kunden zurechtweisen oder auf Schreibmaschinen schreiben wie in den sechziger Jahren. Was die Zahl des Personals angeht, herrscht Luxus.

Künstliche Beatmungsversuche

Es gibt in Berlin 189 Bezirks-Bibliotheken. Billig kann das nicht sein. Auf die Frage, wie viel Geld die Stadt dafür ausgibt, bekommt man in Büro des Kultursenators und im Büro des Finanzsenators und beim Statistischen Landesamt die gleiche Antwort: "Das wissen wir nicht. Das können wir unmöglich beantworten." Die Bezirke bezahlen das, und die Bezirke, gerade neu gegliedert - tja, das sei zurzeit halt so eine Sache mit statistischen Angaben aus den Bezirken.

Berlin gibt dieses Geld aus, um eine Leiche künstlich beatmen zu lassen. Ja, in Wirklichkeit sind die Bibliotheken längst tot. Es gab mehrere Todesursachen. Sie sind gestorben, weil das Interesse an Büchern bei der Bevölkerungsgruppe gesunken ist, die wenig Geld hat und folglich auf die Bibliotheken angewiesen wäre. Sie sind gestorben, weil sie im Konkurrenzkampf um die Freizeit und die Aufmerksamkeit der Berliner seit Jahren nichts mehr zu bieten haben außer dem Geruch nach kalter Erbsensuppe und Schweiß. Ein Unternehmen, das in einer schwierigen Wettbewerbssituation nichts investiert, stirbt. Die Kunden wenden sich ab. Seit Jahren werden die Anschaffungsetats zusammengestrichen, jetzt liegen sie nahe null.

Aber natürlich werden die Bibliotheken nicht geschlossen. Das würde kein Kultursenator wagen. Dann wäre er ja ein Barbar. Man fährt stattdessen den Etat hinunter, bis nur noch das Personal bezahlt werden kann und die Heizung, man beatmet die Leiche. Sie können nichts mehr machen, sie sind gelähmt. Überall in der so genannten bezirklichen Kultur ist es in den letzten Jahren so gemacht worden. Das war der Weg des geringsten Widerstands. Schließen geht nicht, anständig finanzieren geht auch nicht. Wie lange soll das noch so weitergehen?

Gregor Gysi, möglicherweise der nächste Kultursenator, sagt: "Privatisierungen dürfen kein Tabu sein." Die Berliner Bibliotheken müssen privatisiert werden.

Ich mag diesen flammenden Kultur-Leitartikelton nicht mehr hören. Die Verteidigung des Status quo. Darauf lief die Berliner Kulturpolitik der letzten Jahre hinaus: die Fassade zu retten, egal, wie verrottet es hinter dieser Fassade aussieht. Damit die so genannten Leuchttürme stehen bleiben, damit die Opern und die großen Orchester und Theater halbwegs weiterarbeiten können, hat man den ganzen Kleinkram in ein künstliches Koma versetzt. Ein halbes Dutzend Kultursenatoren verschiedener Kompetenz, Eloquenz und politischer Ausrichtung hat ein Jahrzehnt lang den Kulturetat umgeschichtet und zusammengestrichen. Deswegen wirkt es beinahe komisch, wenn jetzt wieder einmal von der wunderbaren Wirkung der "Synergieeffekte" und ähnlichen Wunderwaffen die Rede ist. Nein, das bringt es alles nicht. Entweder ihr weckt den Patienten wieder auf, oder ihr schaltet endlich die Geräte ab.

Es war selbstverständlich richtig, zuallererst die Opern und die Theater am Leben zu erhalten, denn eine Hauptstadt, die sich mit Paris und London vergleicht, braucht das. Ohne die Kultur wäre von Berlins Hauptstadtaura nicht mehr viel übrig. Aber hört auf, dauernd nach der finanziellen Hilfe des Bundes zu rufen. Er hilft ja. Wahrscheinlich sollte er noch mehr helfen. Aber niemals, beim besten Willen nicht, wird der Bund die Probleme des Berliner Kulturetats komplett lösen können, zum Beispiel das Problem der Bezirksbibliotheken. Die einzige Rettung wäre ein spektakulärer Wirtschaftsaufschwung, und der ist in Berlin zurzeit weniger wahrscheinlich als die Wiedereinführung der Monarchie. Also, habt endlich Mut. Privatisiert die Bibliotheken.

Pippi Langstrumpf muss bleiben

Die alten Bestände würden erhalten bleiben. Die Kinder würden weiter ihre Pippi Langstrumpfs finden und die Erwachsenen ihren Thomas Mann oder Noah Gordon. Aber der Personalbestand würde sinken. Die Bibliotheken würden anders aussehen. Es gäbe weniger von ihnen. Das ist nicht schlimm. Der Bedarf ist gesunken. Die Minderheit, die viel liest, hat genug Geld, um sich Bücher zu kaufen, oder sie hat Zugang zu Hochschulbibliotheken. Davon, dass weniger gelesen und mehr ins Kino gegangen oder am Computer gesessen wird, geht die Welt übrigens nicht automatisch unter.

Die privaten Leihbibliotheken - es hat sie übrigens früher schon einmal gegeben - müssten sich an den Lesebedürfnissen der Kunden orientieren. Sie müssten pro Buch eine Leihgebühr verlangen, nicht mehr pauschal zehn Mark im Jahr, wie heute. Sie würden so ähnlich funktionieren wie der Markt der Videotheken. Die Bibliotheken wären vielleicht auch nachts geöffnet, wie die Videotheken. Das ist ein schöner Gedanke - nachts in die Bibliothek zu gehen. Vielleicht würden mancher Buchhändler nebenbei eine Leihbibliothek betreiben. Einige wenige größere Bibliotheken würde die Stadt selbstverständlich weiter selbst betreiben, auch deshalb, damit kein Bürger aus Armut auf Bücher verzichten muss.

Die Sparpolitik in der Berliner Kultur läuft im Moment darauf hinaus, Kreativität zu ersticken. Die Institutionen werden gehalten, im Großen und Ganzen auch das Personal, aber die Etats geben fast nichts mehr her für Projekte, zur Realisation von Ideen, zur Förderung von Talenten, die unangekündigt an die Tür klopfen und, sagen wir, ein Off-Theaterstück auf die Beine stellen wollen. Das war einmal Berlins Stärke. Weil es bei dem Sparkurs keine Opfer geben darf, opfert man die Beweglichkeit, die Kreativität, den Überschuss, das also, was einen Kulturbetrieb interessant macht. Die Bezirksbibliotheken sind dafür ein gutes Beispiel. Es müssen Opfer gebracht werden, damit wieder Bewegung möglich wird.

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