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Selfies sind zur Norm in Museen geworden: Hier ein Besucher des Chinesischen Nationalmuseums in Peking.

© dpa / picture-alliance

Kulturinstitutionen und Social Media: Selfies im Museum

Die Zeit der stillen Kontemplation vor Meisterwerken ist vorbei: Museen und Denkmäler rüsten auf, um sich an die Selfie-Lust ihrer Besucher anzupassen.

Knutschen bitte nur nebenan! Im Wiener Belvedere-Schloss sind all die grandiosen Frauenporträts von Gustav Klimt unklugerweise in ein und demselben Raum ausgestellt. Was dort regelmäßig zu enormem Besuchergewühl führt. Und wenn vor dem berühmtesten aller Klimt-Gemälde, dem „Kuss“, dann auch noch mehrere Paare versuchen, die dargestellte Szene nachzustellen und sich dabei selber fotografieren, geht in dem Saal gar nichts mehr. Weshalb sich die Museumsleitung genötigt sah, im angrenzenden Eckzimmer eine separate Selfie-Station einzurichten: Vor einer extra tiefer gehängten Reproduktion des Bildes darf jeder hier so lange poussierend posieren, bis das perfekte Bild im Kasten ist.

Als Beweisstücke, die das eigene, spannende Leben dokumentieren sollen, sind Selfies sind zum digitalen Pendant des „I was here“-Graffitis geworden. Die es allerdings parallel weiterhin auch noch gibt. Das Treppenhaus im Glockenturm des Florentiner Doms beispielsweise war irgendwann derart mit mehr oder minder geistreichen Kommentaren der Aufsteigenden übersät, dass ein neuer Anstrich notwendig wurde. Damit die Wände aber künftig weiß bleiben, kam Alice Filipponi, die Social-Media-Beauftragte der Dombauhütte, auf die Idee, am Anfang und Ende der 300 Stufen Tablets aufzustellen, auf denen sich mitteilungsfreudige Touristen mit Kritzeleien verewigen können. Und zwar wahlweise per virtuellem Edding, Pinsel oder Spraydose auf Marmor-, Holz- oder Mauerwerk-Hintergrund. Schon in der ersten Woche wurden im Campanile di Giotto über 700 Graffitis hinterlassen – die allesamt gespeichert werden und bis Sankt Nimmerlein über eine spezielle Website abrufbar sind.

Dasein ist alles

Klassische Bildungsbürger, die davon überzeugt sind, in Museen und Denkmälern müsste eigentlich die Kunst im Mittelpunkt stehen, befremdet die grassierende Manie vieler Mitmenschen, Meisterwerke nur noch im Vorübergehen abzulichten, am liebsten mit sich selber im Vordergrund. Versenkung, Kontemplation, Saint-Exupérys „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“? Tempi passati!

Und dennoch sind die oberflächlichen Betrachter auch zahlende Besucher. Auf die Institutionen nicht verzichten mögen – oder können. Weshalb sie sich nolens volens mit ihnen arrangieren, durch die Schaffung von Selfie-Räumen oder Graffiti-Apps. Denn für die Generation Smartphone gilt nun einmal: Dasein ist alles. Und so richtig da ist man offensichtlich nur, wenn auch andere es sehen können.

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