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Der Deutsche Kulturrat fordert ein vorzeitiges Ende der deutschen Ausstellung "Kunst der Aufklärung" in Peking.

© dapd

Kulturpolitik: Zahmes Zauberwort

Die "Kunst der Aufklärung" lockt täglich nur ein paar 100 Besucher. Wandel durch Annäherung: Warum die Strategie der deutschen Kulturpolitik in China nicht verfängt.

Drei Wochen nach der turbulenten Eröffnung der deutschen „Kunst der Aufklärung“-Schau in Peking und der Verhaftung von Ai Weiwei ist um beide kulturpolitische Großerschütterungen eine seltsame Grabesruhe eingekehrt. Trotz weltweiter Proteste gegen seine Inhaftierung bleibt der Künstler verschleppt und verschwunden. Und die geschmeidig an der Zensur vorbeikonzipierte Repräsentationsschau der staatlichen Großmuseen von Berlin, Dresden und München wurde zwar nicht abgebrochen, wie es nach dem Eklat um Ai Weiwei gefordert worden war, erledigt sich aber derzeit offenbar von selber. Die im gigantischen Nationalmuseum abseits auf kleiner Fläche untergebrachte Schau zählt täglich nur wenige hundert Besucher.

Rund 30 000 Besucher pro Tag, mehr als der Louvre, soll das Museum am Tiananmen-Platz fassen, wenn es im Sommer definitiv eröffnet. Derzeit werden täglich 8000 Personen in sieben Gratisausstellungen eingelassen, die Chinas Geschichte und kommunistisch gesteuerte Gegenwart rühmen. Die deutsche Aufklärungsschau kostet umgerechnet 3,20 Euro Extraeintritt, ebenso viel der Audioguide, mit dessen Hilfe sich dem chinesischen Besucher die für ihn exotischen Kulturpreziosen besser erschließen – im Kaufkraftvergleich eine beträchtliche Hürde.

Auch das von der privaten Stiftung Mercator mit 1,5 Millionen Euro finanzierte Begleitprogramm „Aufklärung im Dialog“, das in nahezu vierteljährlichem Abstand zu Einzelveranstaltungen einlädt, läuft schleppend an. Das „Forum“ zur Eröffnung erschöpfte sich vor 400 namentlich registrierten Zuhörern in hoch diplomatischen Höflichkeitsbekundungen der Museumsdirektoren, bevor es, wie berichtet, wegen der kritischen Frage eines Journalisten zum Eklat und eiligen Ende kam. Zwei am Folgewochenende stattfindende „Salons“ bewegten sich – mit wenigen Dutzend überwiegend deutschen Besuchern – in Sachen Publikumsresonanz nahezu an der Nachweisgrenze.

Derart schmale Zahlen stehen nicht nur in schrillem Kontrast zum Aufwand des Unternehmens, sondern auch zum Selbstverständnis auswärtiger Kulturpolitik, wenn es darum geht, Kooperationen mit diktatorisch regierten Ländern voranzutreiben. „Wandel durch Annäherung“ heißt das zeitgeschichtlich angejahrte Zauberwort, das Kulturfunktionäre, etwa die CDU-Politikerin Monika Grütters, der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz oder der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, derzeit gern im Munde führen. Man erinnert damit explizit an jene Diplomatie, mit der Egon Bahr, der Erfinder des Begriffs, Anfang der siebziger Jahre Willy Brandts Ostpolitik zum Durchbruch verhalf. Das Vokabel-Recycling passt verblüffend – sofern man den historischen Kontext in aller Nüchternheit betrachtet.

Wem nützte jene Entspannungspolitik, die 1971 in das Viermächteabkommen und bald in den Grundlagenvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR mündete? Die Verträge sicherten die Zugangswege zwischen Westdeutschland und West-Berlin und regelten für Westler, in engen Grenzen, das Recht auf Privatreisen. Die DDR profitierte massiv – vor allem durch die Transitpauschale. Dieser Straßenzoll Richtung West-Berlin kostete die Bundesrepublik anfangs 235 Millionen D-Mark jährlich, im Jahr vor dem Mauerfall schließlich mehr als das Doppelte. Der Grundlagenvertrag mit der 1973 folgenden Aufnahme beider deutscher Staaten in die Vereinten Nationen brachte der DDR den internationalen Durchbruch. Bilateral bedeutete er die faktische, wenn auch nicht völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik.

Auf Bürgerebene im Westen war damit einiges und auf Staatsebene im Osten viel gewonnen. Nur für die Freizügigkeit der DDR-Bürger änderte sich nichts. Westreisen für Rentner gab es schon in den sechziger Jahren; für alle anderen galt, bis 1989, der Schießbefehl. Abgesehen von einem Mehr an „Westkontakten“ ging das spitzenpolitische Tauwetter an ihnen vorüber, und spätestens mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 begann eine neue Eiszeit. Sie dauerte noch einmal zehn Jahre, bis zum ökonomischen und politischen Kollaps der Sowjetunion unter Gorbatschow.

Schon zu Zeiten Willy Brandts funktionierte der Devisenreichtum des Westens als politisches Lockmittel. Wer dagegen heute um Kontakte zum Riesenmarkt China buhlt, kann dies längst nicht mehr aus einer Position der Stärke tun. Das gilt auch für die Kulturpolitik. Das kommunistisch regierte, kontrolliert kapitalistisch strukturierte Land strotzt vor Selbstbewusstsein, aggressiv nach innen wie nach außen. Politische Wandelimpulse durch behutsame Annäherungsversuche, gar noch in Sorge um Chinas möglichen „Gesichtsverlust“ bei zu deutlichen Worten, wirken da nur blauäugig.

Die Geschichte wiederhole sich nicht, es sei denn als Farce, spottete einst Karl Marx – und allenfalls so passt die „Wandel durch Annäherung“-Strategie auch zur Pekinger Aufklärungsschau. Die Deutschen haben, ein Novum im internationalen Kunstgeschäft, das Export-Prestigevorhaben finanziell alleine gestemmt, mit knapp sieben Millionen Euro vom Auswärtigen Amt. Die chinesischen Offiziellen wiederum tun kaum etwas, dieses Geschenk auch an die eigene Bevölkerung zu vermitteln, im Gegenteil. Das negative Echo im Westen nach der Verhaftung Ai Weiweis treibt die Einigelung der Nomenklatura nur weiter voran. Der Ruf nach Abbruch der Ausstellung tut ein Übriges.

Die letzten Meldungen, dieses syndromische Debakel betreffend, fügen sich nahtlos ins Bild. Soeben wurde die erst im Januar enthüllte, fast zehn Meter hohe Konfuziusstatue vor dem Pekinger Nationalmuseum entfernt und in einen Innenhof des Gebäudes verfrachtet. Also ist das Großporträt Maos, der die Lehren des Philosophen als rückständig bezeichnet hatte, nun auf dem Tiananmen-Platz wieder ikonografisch ungestört. Von deutscher Seite ist dagegen zu erfahren, nach Wochen ganz ohne Hinweise auf die „Kunst der Aufklärung“-Schau seien nun vier Info-Tafeln im Inneren des Museums angebracht worden. Womit der Wandel durch Annäherung wohl ganz bei der Politik der kleinsten Schritte angekommen wäre.

Am Dienstag, 19. 30 Uhr, findet in der Akademie der Künste am Pariser Platz die Diskussion „Ai Weiwei und die Kunst der Aufklärung“ statt. Auf dem Podium: Egon Bahr, Hermann Parzinger, Klaus Schrenk, Tilman Spengler und Klaus Staeck.

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