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Foto: www.gerhardkassner.de

© dpa

Kulturstiftung des Bundes: „In diesem Land ist ganz viel möglich“

Vor zehn Jahren wurde die Kulturstiftung des Bundes gegründet. Ein Gespräch mit der Chefin Hortensia Völckers.

Frau Völckers, auch nach zehn Jahren Bundeskulturstiftung weiß nicht jeder, was die Institution eigentlich macht. Erklären Sie es uns, bitte.

Wir sind eine junge Stiftung. Obwohl wir eine Bundesstiftung und wahrscheinlich die größte in Europa sind, kümmern wir uns nicht so sehr um das kulturelle Erbe wie die meisten vergleichbaren Stiftungen, sondern arbeiten zukunftsorientiert. Um Projekte, die in unserer sehr reichhaltigen Landschaft ein surplus darstellen, und sich ohne unsere Unterstützung nicht realisieren ließen. Wir fassen auch unbequeme Themen an, weil man die nicht allein der Wirtschaft oder Politik überlassen kann. Das führt aber auch immer wieder zu Auseinandersetzungen um die Frage, was Künstler zu Themen wie Klima, Migration oder lebensverlängernde Maßnahmen beitragen können.

Mit wem führen Sie diesen Streit?

Vor allem mit der Öffentlichkeit. Es geht um die Frage, ob politische Kunst funktionieren kann, ohne an ästhetischer Qualität einzubüßen. Künstler machen sich zum Beispiel Gedanken um die Zukunft der Arbeit. Sie geben politische Antworten, die manchmal befremdlich wirken, weil sie sehr poetisch daherkommen. Das heißt aber nicht, dass wir die Künstler für solche Themen instrumentalisieren und sie Auftragskunst liefern sollen. Ob sie aus Interesse bei einem Projekt mitmachen oder weil es Geld dafür gibt, lässt sich nicht immer klären. Ich kenne unsere Kundschaft und weiß, dass viele Künstler, mit denen wir zusammenarbeiten, sich ohnehin für politische und gesellschaftliche Zusammenhänge interessieren. Auch bei unserem „Heimspiel“-Fonds für Theater, die Themen aus ihrer Stadt bearbeiten, wurde der Stiftung vorgeworfen, sie habe einen neuen Theaterstil erzwungen. Als ob sich ein Stadttheater, das 40 000 Euro zusätzlich erhält, deshalb grundsätzlich verändert. Wir nutzen eben die Chance, Anregungen zu geben und Akzente zu setzen, wir machen Angebote, die in der Regel dankbar aufgegriffen werden.

Kritik müssen Sie sich ja eigentlich wünschen, wenn Sie nicht nur das Abgesegnete fördern.

Wir fördern durchaus auch das Bewährte. Deshalb entsteht leicht der Eindruck, wir hätten eine Art Gemischtwarenladen. Bei 35 Millionen Euro, die wir jährlich vergeben, wäre es ja auch nicht gut, wenn wir uns ausschließlich auf Themen wie Städteplanung, Bioethik oder Migration konzentrierten. Aber wir können und wollen auch Themen lancieren, für die den meisten anderen Institutionen die Mittel fehlen. Seit langem fördern wir das Projekt „Jedem Kind ein Instrument“. Aktuell arbeiten wir zum Beispiel an einem Programm für Afrika, weil uns aufgefallen ist, dass das Interesse bei den Kulturschaffenden seit einiger Zeit gewachsen ist.

Sie greifen latente Strömungen auf?

Ja, Gott sei Dank interessieren sich jetzt mehr Kulturleute für Afrika. Es ist absolut notwendig, dass wir unsere Ängste vor diesem Kontinent verlieren. Wir laden Experten zu Gesprächen ein und bereiten anderthalb Jahre ein Programm vor, das möglichst nicht wiederholt, was schon andere Institutionen wie das Goethe-Institut veranstalten. Wir führen, wenn wir ein Programm entwickeln, immer intensive Gespräch mit den Akteuren.

Mit der Initiative ‚Tanzplan Deutschland’ haben Sie 2005 etwas in die Wege geleitet, das es ohne die Stiftung nicht geben würde.

Damals haben wir uns in 18 Städten mit allen getroffen, die etwas zum Thema Tanz zu sagen hatten. Unsere Frage war: Wie könnt ihr die Tanzsituation in eurer Stadt verbessern? Was braucht ihr dafür? Und unser Vorschlag lautete: Tut euch für ein Projekt zusammen, und wenn ihr dafür Gelder bewilligt bekommt, gibt die Stiftung die gleiche Summe bis zu einer Million Euro dazu. Daraufhin herrschte helle Aufregung, weil die Tänzer, die ja sonst nicht als starke Lobby auftreten, den Kulturdezernenten die Türen einrannten. Und es hat etwas gebracht: Jetzt werden die Verantwortlichen für Tanz in den Kulturausschuss des Bundestages eingeladen. Solche Gruppen müssen sichtbar werden. Wir animieren sie dazu, auf die Politik zuzugehen. Ich sehe mich als Gesprächspartner und Seismografen, als Möglichmacherin.

Wenn eine Veranstaltung wie jetzt die „Berlin Biennale“ auf anhaltende Kritik stößt, kann sie dann aus Ihrer Förderung fallen? Oder sind die sogenannten Leuchtturmprojekte der Stiftung fest im Förderprogramm verankert?

Nein, aber nur weil die „Berlin Biennale“ diesmal, noch bevor sie überhaupt angefangen hat, umstritten ist, ist das kein Grund, die Förderung einzustellen. Es war sehr mühevoll, die Biennale auf sichere Beine zu stellen. Ich würde sie immer verteidigen, auch wenn nun Stimmung gegen die siebte Ausgabe gemacht wird. Letztlich entscheidet aber der Stiftungsrat über die weitere Förderung. Der künstlerische Leiter Artur Zmijewski ist von einer prominenten internationalen Findungskommission ausgesucht worden. Für den Förderer ist das eine schmerzhafte Übung. Mich zerreißt es schier, weil ich die Künstler nicht beeinflussen will und gleichzeitig die Politik besänftigen möchte.

Was war in den vergangenen zehn Jahren besonders schwierig? Es gab einen Regierungswechsel. Spielt so etwas eine Rolle?

Ich kann dazu nicht viel Spektakuläres erzählen. Stiftungsratsmitglieder wie Norbert Lammert oder Wolfgang Thierse sind von Anfang an dabei. Wenn sich der jeweilige Staatsminister in die Systematik der Stiftung eingearbeitet hat, erkennt er, dass die Stiftung klug gebaut ist. Es ist ja nicht so, dass wir eben mal Geld rüberschieben, jeder Antrag muss bestimmte Instanzen und Fachgremien durchlaufen. Das ist wichtig, um uns vor Begehrlichkeiten zu schützen. Ich werde ja täglich mit Anfragen konfrontiert.

Welchen Konfliktstoff gibt es?

Konflikte entstehen zum Beispiel, wenn es um die Beendigung mehrjähriger Förderprogramme geht. Als der „Tanzplan“ zu Ende ging, war allen klar, dass man die neu erstarkte Szene nicht hängen lassen darf, sie andererseits aber natürlich keinen Anspruch auf eine automatische Weiterförderung hat. Schließlich haben wir zwei Jahre lang daran gefeilt, der Stiftungsrat hat stundenlang über Tanz diskutiert. Ärger gibt es auch bei abgelehnten Projekten, hinter denen eine starke Lobby steckt. Zum Beispiel bei der Erinnerungskultur: Wenn ein Theaterprojekt in einer Gedenkstätte abgelehnt wird, weil die Jury es künstlerisch nicht gut findet. Oder wenn wir unbequeme Themen behandeln. Als wir etwa einen Kongress über Urheberrecht gefördert haben und ausländische Gäste dazu eingeladen wurden, die zu einer halb legalen Szene von Hackern angehörten, hat das natürlich für große Aufregung bei den Verbandsvertretern geführt.

Wie viele abgelehnte Projekte kommen auf eine Förderung?

Das steht im Verhältnis eins zu fünf.

Und die Begehrlichkeiten der Politik?

Auch die gibt es natürlich. Ich diskutiere häufig mit enttäuschten Abgeordneten, in deren Wahlkreis ein Projekt abgelehnt wurde. Wir beraten aber auch die Antragsteller und machen Überarbeitungsvorschläge.

Fürchten Sie sonst Konsequenzen?

Es versteht sich von selbst, dass ich mich um Transparenz und Information im politischen Raum kümmere. Wir wollen ja auch nicht finanziell eingeschränkt werden. Über die Gelder wird jedes Jahr entschieden, und wir sind bereits einmal von 38 auf 35 Millionen Euro abgesenkt worden. Das hat mit der allgemeinen Sparpolitik zu tun, aber nach zehn Jahren erfolgreicher Arbeit sollte sich über eine angemessene Aufstockung reden lassen. Wir würden gern mehr im Bereich der kulturellen Bildung machen, aber dazu reicht es jetzt nicht.

Sie sind eine Stiftung. Weshalb wird dann jedes Jahr neu entschieden?

Wir sind eine Zuwendungsstiftung ohne eigenes Kapital. Das ist eine spezielle Konstruktion. Für die Gründung der Stiftung ist keiner kulturellen Einrichtung etwas weggenommen worden; eine Leistung des damaligen Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin, die viel zu wenig gewürdigt wird. Er hat eine neue Institution geschaffen! Er hat uns geraten, eher bescheiden und im Hintergrund zu agieren. Wie wir uns verstehen, können Sie nicht zuletzt am regelmäßig erscheinenden Magazin ablesen: Es gibt keine Fotos vom Team, keinen Bundesadler, keinen Hochglanz. Es ist ein sperriges künstlerisches Produkt und trotzdem eines der in mancher Hinsicht auch wieder repräsentativen Bundeskulturstiftung. Daran sieht man, dass in diesem Land ganz viel möglich ist. Diese Autonomie erfüllt mich mit Dankbarkeit.

Hortensia Völckers, 53, ist seit 2002 Direktorin der Bundeskulturstiftung. Sie stammt aus Buenos Aires, zog 1975 nach Deutschland und organisierte hier Tanz- und Kunstprojekte.

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