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Kandinskys Fiebertraum. 1928 malte der deutsche Künstler Sascha Wiederhold "Bogenschützen" (204 mal 240cm) als Spiel geometrischer Formen.

© Galerie Brockstedt

Kunst der zwanziger Jahre: Sinnliche Reiter

Die Berliner Galerie Brockstedt zeigt Werke der zwanziger Jahre aus der Privatsammlung ihres Gründers.

Die Pfeile der „Bogenschützen“ schießen wie Lichtlinien durch die bizarre Farblandschaft. Zwei Figuren pirschen sich an das erlegte Wild, während fünf Reiter wie zum Schutz auf das am Boden liegende Tier zielen. Eine temporeiche Szene, die sich dem Betrachter allerdings erst auf den zweiten, dritten oder gar vierten Blick erschließt. So furios zerbirst das Ölbild in Kreise und Bögen, in Streifen, Arabesken und Rechtecke. Lässt Pferde, Beute und Jägermeute aus der reinen Ornamentik entstehen. Ein Kaleidoskop in kraftvollem Farbklang, das auf fast fünf Quadratmetern jede Menge Raum bietet, in den das Auge wandern und sich im Rausch der Rot-, Blau- und Brauntöne verlieren kann.

Sascha Wiederhold hat die großartigen „Bogenschützen“ 1928 gemalt. Bereits drei Jahre zuvor hatte er seinen ersten Auftritt in Herwarth Waldens legendärer Galerie Der Sturm. Da war der 1904 im westfälischen Münster Geborene gerade Student bei Cesar Klein an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten legte das vielversprechende Talent Pinsel und Palette beiseite, absolvierte eine Lehre und arbeitete fortan als Buchhändler. Entsprechend schmal ist das in nur einer Dekade entstandene Werk des 1962 in Berlin verstorbenen Künstlers.

Eine Entdeckung – und nicht die einzige, die die Galerie Brockstedt in der Ausstellung „Die 20er-Jahre“ präsentiert. Glanz und Widerspruch der Epoche breitet die Schau mit fast musealem Spektrum aus. Größen wie Otto Dix und George Grosz finden sich darunter, aber auch nahezu vergessene oder in Deutschland kaum bekannte Künstler der niederländischen Moderne – allen voran Armand Boutens Milieustudie „Rotes Bordellzimmer“. Mit 50 Werken (Preise auf Anfrage) lebt der Geist der goldenen Jahre noch einmal auf. Von der konstruktivistischen Avantgarde mit Walter Dexel oder Otto Freundlich bis zum sozialkritischen Verismus von Dix, Grosz oder Rudolf Schlichter. Dessen extremes Hochformat zeigt seine Lebensgefährtin „Speedy stehend“ als reizvoll raues, urbanes Großstadtgewächs. Die Neue Sachlichkeit ist mit Albert Birkle oder Georg Schrimpf und einem Meisterwerk Christian Schads vertreten. Den mondänen Charme seiner „Sonja“ – die sich als Inkunabel der Neuen Frau ins Gedächtnis geschrieben hat –, versprüht das Porträt „Lisa Benkö“ von 1925 zwar nicht. Aber mit seinem unvergleichlichen Realismus trifft Schad exakt die konservative Noblesse der Wiener Bankiersgattin.

„Das ist das letzte auf dem Markt verfügbare Schad-Gemälde aus den zwanziger Jahren“, erklärt Boris Brockstedt stolz. 1988 gelangte die blonde Schöne vor grünem Hain und mit der weißen Rose der Verschwiegenheit über die Erben in die Privatsammlung des Galeriegründers Hans Brockstedt. Aus seinem über mehr als sechs Jahrzehnte gewachsenen Besitz stammt denn auch das Gros der anderen Werke. So Hugó Scheibers sinnlich geometrische Komposition „Mädchen mit Glas“, das um 1920 von einem im Profil gedoppelten Mann mit Zylinder beäugt wird. Doch nicht nur als Modell taucht die Neue Frau in dieser Kollektion auf, sondern auch mit Künstlerinnen wie Jeanne Mammen, Hanna Kosnick-Kloss oder Lou Loeber. Bestechend Hanny Korevaars „Mann und Frau“ in einer Traumwelt von faustischer Erotik. Auch das ein Novum der Zeit und Spiegel der folgenden Katastrophe. Vereitelte doch der Faschismus so manchen künstlerischen Durchbruch. Dass gerade in der untergegangenen Generation immer noch Schätze zu heben sind, stellt die Ausstellung unter Beweis.

Galerie Brockstedt, Mommsenstr. 59; bis 31.5. Di–Fr 10–18 Uhr, Sa 10–14 Uhr

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