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Zu schön zum Tragen. Die von innen leuchtenden Kleider eines Antonio Marras. Foto: dpa

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Kunst: Ein Duft von Asphalt und Abgasen

Mode trifft Kunst: Die Ausstellung „Dysfashional“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt

Gerade hat er noch gezappelt, nun wird der Fisch zum appetitlichen Sashimi hergerichtet. Der japanische Koch steht auf einer großen Platte, die sich dreht und ihn beim Filetieren von allen Seiten präsentiert – so als sei er selbst ein leckeres Dessert, das man sich am Ende vom Essen gönnt. Und noch ehe man sich fragen kann, was dieser Aufschneider in einem Video zum Thema Mode macht, bewegt sich die Bühne zu Klavierklängen noch einmal. Der Koch ist verschwunden, seinen Platz haben nun schöne Menschen eingenommen, die sich mit allerlei absurden Verrichtungen beschäftigen.

„Anaesthetics“ heißt das großartige Video von Hussein Chalayan. Der Ausstellung „Dysfashional“ im Haus der Kulturen der Welt, die zwanzig namhafte Designer versammelt, gibt es den Takt vor – und das nicht bloß, weil sein Sound bis in den letzten Winkel des Raumes zu hören ist. Der Modeschöpfer, der sich schon länger an der Schnittstelle zur Kunst bewegt, reflektiert die Prämissen seiner Branche. Schönheit und Grausamkeit sind auch hier eng miteinander verknüpft. Dabei muss man nicht einmal an die Extreme, an Magermodels oder chirurgische Korrekturen von Nase und Brüsten, denken. Tatsächlich wird der Körper doch in jedem Moment zugerichtet, weil er sich den Vorstellungen der Kleidermacher unterwerfen muss. Wespentaille, High Heels, Zero-Größen: Bei Chalayan schwingen all diese Aspekte mit, ohne dass er sie im Video benennen muss.

Ein Paradebeispiel für die Absichten der Ausstellung. Anstelle saisonaler Kleider führt sie ein ganz anderes Potenzial der Mode vor. Die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit ihren eigenen Bedingungen. Jene schöpferischen Energien, die Raf Simons, Bernhard Willhelm, Kostas Murkudis oder Jerszy Seymour sonst in die nächste Kollektion investieren, werden von den Kuratoren umgeleitet. Heraus kommen „dysfunktionale“ Arbeiten, wie sie zuvor bereits in Luxemburg und Paris zu sehen waren. Nichts, was man überstreifen kann. Sondern anschauen, abwägen oder sogar aushalten muss.

So wie die Metropolen-Düfte von Sissel Tolaas. Jede Ecke der Ausstellung wird von einer ihrer Stelen besetzt, die ausdünsten, was London oder New York olfaktorisch ausmacht. Keine Maiglöckchen, sondern heißer Asphalt, wabernde Kanalgerüche und Autoabgase. Die Parfümindustrie wäre entsetzt, Tolaas aber preist ihre Kreationen als Begegnung mit der Wirklichkeit. Und man selbst fragt sich, weshalb man nicht einfach vor die Türe geht, um eine Dosis Berlin zu inhalieren. Dann aber würde man die Installation „RDS“ (2009) von Pierre Hardy und Damien Blottière verpassen, die das Handwerk des gehobenen Schuhmachers ähnlich böse präsentieren wie Chalayan die Kunst des Schneide(r)ns: Durch den inszenierten Raum von „RDS“ kann sich nur bewegen, wer seinen Körper an die extremen Verformungen im Innern anpasst. So fühlt sich dann wohl ein Fuß.

Andere Arbeiten lassen sich bloß betrachten. Die fragilen, von innen leuchtenden Kleider eines Antonio Marras, der neben seinem eigenen Label die Kollektionen von Kenzo Woman betreut. Oder die auf dem Boden platzierten Bildschirme, auf denen Raf Simons seine ästhetische Sozialisierung akustisch und filmisch Revue passieren lässt: Songs von den Doors, die Mode der ersten Punks, das geometrische Schwarz der Achtziger. An der Wand dahinter zeigt derweil Bernhard Willhelm, wie sehr man eine Einladung zum Nachdenken über Kunstwerke im Kontext der Mode missverstehen kann. Seine Fotoparade kostümierter Penisse ist jedenfalls kein Werk kreativen Überschusses. Höchstens ein müder Gruß aus dem Reich juveniler Albernheiten. Auch bei „Mount Blushmore“, einer bonbonfarben strahlenden Installation mit den Konterfeis diverser Haute-Couture-Designer zweifelt man schnell am kritischen Potenzial. Dass die Arbeit von einem Künstler, dem Franzosen Cyril Duval, stammt, macht vor allem eines deutlich: Nicht jeder hat das Potenzial zum ästhetischen Grenzübertritt.

Im Ganzen aber ist die Ausstellung eine gelungene Momentaufnahme dieser fragilen Verbindung. Nicht zuletzt dank der wunderbaren Installation „Parasite“, die der Berliner Konzept-Store Bless eigens für das Haus der Kulturen der Welt gestaltet hat: eine vertrackte Collage aus Fotowänden von Interieurs und echten Designobjekten, die man direkt aus der Ausstellung erwerben kann.

Mode ist käuflich, ruft diese künstlerische Arbeit. Und fragt auch gleich danach, wie es sich umgekehrt mit der Kunst verhält.

Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, bis 17. Juli, Mi-Mo 11-19 Uhr.

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