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Megafon-Mann. Täglich zur Mittagszeit erinnert dieser Herr auf dem Odeonsplatz in München in Form einer Kunstperformance an die Nazizeit.

© F. Hörhager

Kunst im öffentlichen Raum: London und München sind innovativer als Berlin

Kunst im öffentlichen Raum dient der Profilierung eines Orts. Metropolen wie München und London trauen sich was. Berlin ist da vorsichtiger. Statt innovativer Aktionen dominiert auf Straßen und Plätzen die Gedenkkultur.

Es ist zwölf Uhr mittags. Gemessenen Schrittes nähert sich ein Herr im hellgrauen Blouson, öffnet die gläserne Vitrine mitten auf Münchens Odeonsplatz und nimmt ein silbrig glänzendes Megafon heraus. Mit der gleichen Ruhe hebt der Mann den Schallverstärker an den Mund und ruft hinein: „Es ist nie zu spät, sich zu entschuldigen“. Das war’s, das Megafon wird zurückgesperrt, der Mann verschwindet wieder gen Hofgarten. Nur wenige Passanten auf dem stark frequentierten Platz haben die Szenerie bemerkt. Ein Spaß? Wohl kaum, denn das Areal vor der Feldherrnhalle ist durch den Hitler-Putsch von 1923 und die Ehrenwache nach 1933 geschichtlich kontaminiertes Gelände, ein zentraler Schauplatz der einstigen „Hauptstadt der Bewegung“.

Bis Ende September wird sich das Schauspiel täglich zur Mittagszeit wiederholen, ein Werk des dänisch-norwegischen Künstlerpaars Michael Elmgreen & Ingar Dragset, das sich jedoch nicht auf eine späte Entschuldigung der Deutschen für ihre Missetaten festlegen will. Der Appell gelte genauso für den privaten Bereich, sagen sie. Es käme eben darauf an, was der Betrachter daraus macht – wie stets bei Kunst im öffentlichen Raum. Die gleiche Aktion fand bereits in Rotterdam und New York statt. Jedes Mal diskutierten die Leute, wer sich zu entschuldigen habe und wofür. Das Münchner Publikum jedenfalls zeigt sich irritiert. Durch den Auftritt mit der neckischen Flüstertüte werde die Tragweite der unter Hitler begangenen Verbrechen banalisiert, so die Kritik.

Bereits in dieser Auseinandersetzung besteht der Erfolg für das Künstlerduo, das international für die Bespielung des öffentlichen Raums hoch gefragt ist. Nach München wurden sie vom Kulturreferat der Stadt nicht nur für ein Einzelwerk bestellt, sondern als Kuratoren gleich für das ganze Projekt „A Space Called Public“, an dem sich in den nächsten Monaten weitere Künstler jeweils an prominenten Plätzen beteiligen werden, darunter Peter Weibel und David Shrigley. Von Martin Kippenberger etwa soll als posthume Fortsetzung seines „Metro-Net“ auf dem Marienhof eine fiktive U-Bahn-Station entstehen. Insgesamt stehen 1,2 Millionen Euro zur Verfügung. Die bayerische Kapitale lässt sich Kunst im öffentlichen Raum etwas kosten, denn durch sie erstrahlt die Stadt. Die Monumente und repräsentativen Bauten bilden den Rahmen. Die zeitgenössische Kunst aber verankert das städtische Leben kulturell in der Gegenwart.

Und doch scheint die große Zeit der Kunst im öffentlichen Raum vorbei zu sein. Die sogenannten drop sculptures, die vor öffentlichen Gebäuden eher beziehungslos abgestellt wurden, auch Stadtmöbel genannt, sind längst nicht mehr erwünscht. Selbst die Künstler fühlen ein Unbehagen. Sie unterlaufen bewusst alles Repräsentative und reagieren seit den neunziger Jahren mit sitespecific art, die sich mit der Umgebung auseinandersetzt. Trotzdem gilt wie vor 200 Jahren: Kunst im öffentlichen Raum bedeutet auch öffentlicher Prestigegewinn; keine Bundesgartenschau, keine Olympischen Spiele, die da nicht ihr eigenes Programm besäßen. Kunst gehört zum Marketing. Rund um den Globus sprießen die Biennalen aus dem Boden, deren bevorzugtes Terrain der Stadtraum bildet.

Starres Gedenken. In Berlin fällt die künstlerische Erinnerung an den Hitler-Attentäter Georg Elser in der Wilhemstraße deutlich statischer aus als die Straßenaktion in München.
Starres Gedenken. In Berlin fällt die künstlerische Erinnerung an den Hitler-Attentäter Georg Elser in der Wilhemstraße deutlich statischer aus als die Straßenaktion in München.

© Mike Wolff

Für die Kommunen und Länder bleibt die Kosten-Nutzen-Rechnung ungewiss; ihr Engagement beruht auf Freiwilligkeit. Die bereitgestellten Gelder schwanken zwischen null (das Land Niedersachsen etwa besitzt seit 1992 keinen eigenen Etat für Kunst am Bau, unter der häufig auch die Kunst im öffentlichen Raum firmiert) und Bayern mit zwei Millionen Euro an der Spitze. Berlin befindet sich im Mittelfeld mit einem Jahresbudget von knapp 400 000 Euro. Trotzdem wähnt sich die Stadt als Insel der Seligen, denn anders als andere Bundesländer hat sie sich zur Kunst im öffentlichen Raum verpflichtet, mit einem Passus in der Bauordnung.

Ein weiträumiges Happening wie gegenwärtig in München, das sich mal heiter, mal ernst auf diverse Plätze verteilt und dann wieder trollt, gäbe es in Berlin dennoch nicht. Die Stadt hat sich auf eine Doppelstrategie verlegt. Entweder dient die Kunst im öffentlichen Raum dem Gedenken, wie es gegenwärtig auch mit dem Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ zum Ausdruck kommt, das die Kulturverwaltung des Senats aus Anlass des 80. Jahrestages der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und des 75. Jahrestags der Novemberpogrome ausgerufen hat. Oder sie ist als sogenanntes niedrigschwelliges Angebot gedacht, mit Plakataktionen in U-Bahnhöfen, an denen sich vor allem junge Künstler beteiligen können.

Ob im Untergrund oder auf der Straßen, Kunst im öffentlichen Raum wird en passant erfahrbar, etwa in der Wilhelmstraße in Berlin-Mitte. Auch hier ist gerade Mittagszeit. Der Verkehr fließt. In Höhe der Straße An der Kolonnade huscht über den Köpfen der Autofahrer die überdimensionale Silhouette eines männlichen Kopfes vorbei. War da was? Nur Fußgänger können die 17 Meter hohe filigrane Stahlskulptur genauer studieren, die als Denkzeichen mitten in der einstigen Machtzentrale der Nazis an den Hitler-Attentäter erinnert. 250 000 Euro gab der Senat vor zwei Jahren für die Realisierung des Werks, eine Dokumentation kommt in diesem Jahr hinzu.

Berlin, die Stadt der Täter, hat in der Gedenkkultur ihre spezifische Form der Kunst im öffentlichen Raum gefunden. In der Summe wirkt das eher betulich. Mangelt es ausgerechnet in der Kunstmetropole Berlin an innovativen Ideen? Selbst Elmgreen & Dragset, das dänisch-norwegische Künstlerpaar, das ansonsten eher für seine subversiven, humorvollen Arbeiten bekannt ist, hat sich in seiner Wahlheimat Berlin in diesen Modus hineingefunden. Von ihnen stammt das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, das vor fünf Jahren im Tiergarten gegenüber dem Holocaust-Mahnmal eingeweiht wurde. 2013, zum Abschluss des Themenjahrs „Zerstörte Vielfalt“, soll ein weiteres Mahnmalprojekt fertiggestellt werden: der Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in der Tiergartenstraße 4 hinter der Philharmonie.

Kunst im öffentlichen Raum dient der Profilierung, der Identifizierung eines Orts. Längst haben dies auch Großinvestoren, Messebauer und Flughafen-Gründer verstanden. Stuttgart 21 und das Tempelhofer Feld in Berlin werden die nächsten Megaprojekte sein, bei denen Künstler mit am Tisch der Planer sitzen. Vorbei sind die Zeiten, als sie beauftragt wurden, für ein Postament Feldherren in Stein zu schlagen, herrschaftliche Bronzen zu gießen – zur Vollendung einer Platzgestaltung und höheren ästhetischen Weihe. Und doch nicht ganz: Als einer der letzten Sockel ist die „Fourth Plinth“ am Londoner Trafalgar Square noch zu vergeben. An den vier Ecken des Platzes, in dessen Mitte Lord Nelson auf seiner Säule nach Kriegsschiffen Ausschau hält, erinnern Admiral Napier und General Havelock an die einstige Glorie des Empire, dazu King George IV. hoch zu Ross. Nur der vierte Platz blieb 150 Jahre unbesetzt. Seit 1999 wird das meterhohe Podest nun wechselweise von renommierten Künstlern bespielt. Es ist eine ironische Wendung der Geschichte von Kunst im öffentlichen Raum, dass nun die Zeitgenossen die klassische Gestaltung brechen dürfen.

Marc Quinn platzierte dort eine Marmorskulptur der schwangeren Bildhauerin Alison Lapper, deren Arme und Beine von Geburt an verkrüppelt sind, Yinka Shonibare ließ hier Nelsons Flaggschiff unter afrikanischen Segeln fahren. Gegenwärtig thront kess ein Bronzereiter auf dem Sockel, ein Knabe, der sein Schaukelpferd antreibt. Er stammt von Elmgreen & Dragset, die meisterlich mit dem Mittel der Pointierung und der Moment-Erfahrung die Klaviatur der Kunst im öffentlichen Raum bedienen. Vielleicht schafft der Reiter es ja nach Berlin.

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