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KUNST Stücke: Altmeister

Matthias von Viereck lässt die sechziger Jahre Revue passieren

Riesige Fragezeichen waren im Raum, als Carl Andre 1967 zur Eröffnung der Düsseldorfer Galerie Konrad Fischer den Boden mit 100 Stahlplatten pflasterte: „Wo ist denn die Kunst?“, sollen Besucher gefragt haben, bis sie merkten, dass sie längst darauf standen. Da war Andre in Europa noch unbekannt. 40 Jahre später knüpft die Galerie an das Ereignis an, eröffnet auch die Berliner Dependance mit dem amerikanischen Minimalisten. Etwas Sentimentalität kann ja nicht schaden. Den Kulturschock von einst aber vermag die Schau nicht zu reproduzieren. Ein wenig Enttäuschung ob der Kupferplatten, die nun in zwei Reihen nebeneinanderliegen. Sahen sich die Besucher 1967 dazu genötigt, Andres Kunst zu betreten, da der ganze Boden voller Platten war, ist dies in den Berliner Räumen nicht mehr der Fall. Der Effekt von einst bleibt aus. Auch sind wohl einfach zu viele Kunstjahre ins Land gegangen. Spannender sind Andres 50 Quader aus Zedernholz von 1992: Die Hälfte der 90 Zentimeter langen Stücke hat er zu einem kompakten Block arrangiert und den Rest wie Bauklötze im Raum verteilt. So verspielt kann Minimal Art sein. Die jüngste der ausgestellten Arbeiten, 108 zu einem Rechteck gefügte Karbonwürfel, ist von 2006. So zeigt die Schau, mit welcher Konsequenz Andre (Jahrgang 1935) sein reduziertes Werk fortführt (Lindenstraße 35, bis 9.11.).

Ähnlich alt, wenn auch alles andere als minimal ist die Kunst von Wolf Vostell. Seine Ausstellung in der Wewerka-Galerie spannt den Bogen in eine ganz andere Richtung und zeigt, was in den sechziger Jahren parallel zur puren Ästhetik einer konzeptuellen Bildhauerei möglich war: Skulpturen aus dröhnenden Fernsehern und grauem Beton, unter dem Vostell ein anderes Lieblingsspielzeug seiner Zeit begrub und damit neben vielen Fragen veritable Skandale heraufbeschwor. Der Künstler, der aktuell seinen 75. Geburtstag gefeiert hätte, ließ sich davon wenig beeindrucken und arbeitete weiter so nah an der Wirklichkeit, dass sich Kunst und Leben in seinem Werk immer wieder miteinander verbanden. Ausschnitthaft lässt sich das nun in der Galerie nachvollziehen. Sie versammelt neben einem „Hamlet“-Bühnenbild von 1978 die Partitur für ein Fluxuskonzert, zahlreiche Unikate, Multiples oder Siebdrucke und, nicht zuletzt, einen Morgenmantel mit von Vostell entworfener Stickerei. Ein Sammelsurium, mag man zunächst denken und wird dennoch sofort eingesogen – in das wilde Universum eines Fluxus- und Happening-Generalisten, für den alles Material war. Sehenswert ist auch das Video in der Ausstellung: gefilmter Autoverkehr über schier endlose, mehrspurige Fahrbahnen, auf denen die Wagen wie rote Blutkörperchen wirken, die durch die Stadt gepumpt werden. Ein lebender Organismus. Und ein Schlüssel für Vostells Werk, der diese neue Lebensform zu seinem Thema gemacht hat (Budapester Straße 2 a, bis 17.11.).

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