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KUNST Stücke: Mit Fanfaren

Die Kunst muss hinaus aus dem Museum, glaubt Stephen Willats. Sie kann die Gesellschaft erreichen und auf sie einwirken.

Die Kunst muss hinaus aus dem Museum, glaubt Stephen Willats. Sie kann die Gesellschaft erreichen und auf sie einwirken. Seit fast fünfzig Jahren untersucht der Brite die verschlüsselten Botschaften unserer Umgebung, erkundet Trabantenstädte, belauscht Hochhäuser, erspürt die Macht der Maschinen in Büros. Aber er sammelt auch Zeugnisse für den Widerstand gegen die erzwungene Norm. „Secret Language The Code Breakers“ in der Galerie Thomas Schulte (Charlottenstraße 24, bis 10. November) rekonstruiert zwei Ausstellungen aus den 80er Jahren. Da durchleuchtet Willats das Leben in einer Neubausiedlung bei Regensburg. In seinen Diagrammen bildet die Architektur das autoritäre Machtzentrum. Willats sucht nach der individuellen Freiheit in dieser Umgebung und findet Gebote und Verbote, das Hinweisschild auf dem Mülleimer, die Warnung vor Gift. Aber er dokumentiert auch unreglementierte Botschaften der Anwohner. Für Willats sind sie Beweis dafür, dass sich die Menschen ihre Umgebung zu eigen machen (70 000 €).

Tatsächlich geht es in allen Arbeiten um Macht und Handlungsspielraum. Nicht zufällig ähneln Willats’ Werke Organigrammen. Statt der Hierarchie einer Firma zeichnen sie die Befehlskette der Objekte auf und jede Meuterei. Die Schaltpläne für das Zusammenspiel von Mensch und Gesellschaft verbergen ihre Sprengkraft hinter einer unscheinbaren Fassade. Auch die Besucher müssen sich den intellektuellen Gewinn erst erarbeiten. „Wie kann ich die Normalität der Objekte verwandeln?“ Die Fragen in seinen Bildsammlungen formuliert der Künstler gemeinsam mit den Menschen, deren Lebensumstände er untersucht. Die Überzeugung, dass Veränderung möglich sei, hat diese Arbeiten frisch gehalten. Willats träufelt seine Fragen ins Bewusstsein: Welchen Einflüssen sind wir ausgesetzt, verändert uns die Hässlichkeit der Dinge? Haben wir schon aufgegeben, darüber nachzudenken? Ist man einmal auf die geheime Sprache der Zeichen aufmerksam geworden, hört man sie überall in der Stadt wispern.

Der Kolumbianer Danilo Duenas, dessen Werk die Galerie in ihrem Fenster ausstellt (bis 3. November), läuft kaum Gefahr, sich den Normen zu unterwerfen. Man möchte sich den Künstler als Berserker vorstellen, der mit Riesenkräften gewaltige Fundstücke in seine Ausstellungsräume schleudert. In der DAAD-Galerie türmte er Kühlschranke aus dem Westhafen auf, bei Thomas Schulte hätte er am liebsten das Fenster aus Sicherheitsglas zertrümmert. Stattdessen stapelt er jetzt vier Türen übereinander. Dahinter herrscht das Tohuwabohu des Lebens. Ein Holzschrank ist auf Neonröhren gefallen und hat sie zertrümmert. Der Ausstellungstitel liest sich wie das Buch zum Stück: „A door repeated and the wardrobe fell.“ Den Schrank entdeckte Duenas in einer Kirche, er musste für die Ausstellung gemietet werden. Eine Zimmermannstracht, ein Malereimer, ein Wischlappen scheinen von den Handwerkern vergessen. Aufbau und Zerstörung halten sich in dieser wuchtig eleganten Arbeit die Waage. Souverän lässt Duenas, Jahrgang 1956, den Zufall für sich arbeiten und tariert dennoch alles exakt aus. Während Stephen Willats die geflüsterten Geheimbotschaften der Städte dechiffriert, tritt Danilo Duenas durch die Wohnungstür, von Fanfaren begleitet.

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