zum Hauptinhalt

KUNST Stücke: Rebellion

Michaela Nolte gratuliert der Galerie Poll zum Jubiläum

SORGE prangt in fetten Lettern und schöner Doppeldeutigkeit zwischen einer riesigen Rasierklinge und einem liegenden, weiblichen Halbprofil mit vorgestreckter Zunge. Das Ausstellungsplakat, mit dem die Galerie Poll vor 40 Jahren eröffnete, stammt von Peter Sorge, der nun im Zentrum des Jubiläums steht (Lützowplatz 7, bis 10. November). Als Vorlage diente die ironische Lithografie „Gute Besserung für Andy“. Ansonsten halten sich die Arbeiten des 2000 verstorbenen Malers und Grafikers mit Doppeldeutigkeiten nicht weiter auf. Handfeste und derbe Symbole von Macht, von politischer und sexueller Gewalt treffen auf jene altmeisterliche Technik, mit der Sorge die veristische Tradition weiterentwickelte (Preise: 100–1800 Euro). Die Freundschaft zu ihm und seinen Kollegen von „Großgörschen 35“ hatte Eva und Lothar C. Poll zur eigenen Galerie bewegt. Als die Ausstellungsgemeinschaft zu bröckeln begann, hieß es lapidar: „Macht doch ihr die Galerie!“ Das war 1968, als die Revolution nicht nur auf der Straße zum Greifen nah schien, sondern die Zeichen auch in der West-Berliner Kunstszene auf Rebellion standen. Der kritische Realismus avancierte zur Kunst der Stunde und die Galerie Poll zur ersten Adresse für diese Spielart der figurativen Malerei und Bildhauerei. An dem Programm, das durch Künstler der ehemaligen DDR und UdSSR erweitert wurde, hält die Galerie bis heute fest. Nicht dogmatisch, aber mit großer Treue zu individuellen Positionen.

Programmatisch werden stets zwar die Anfänge ins Gedächtnis gerufen, trotzdem blicken die Galeristen nach vorn: 2009 wechseln sie vom Lützowplatz in ein internationales Galerienhaus in Mitte, während die Kunststiftung Poll auf drei Etagen erweitert wird: Hier betreut man Künstlernachlässe und die hauseigene Sammlung und pflegt mit der Fotografie eine weitere Passion. Vom Gehen auf Eis heißt die aktuelle Ausstellung mit Berlin-Ansichten vergangener Jahrzehnte (Gipsstraße 3, bis 22. November). Eine Aufnahme von Michael Schmidt, gemacht beim Mauer-Spaziergang, spiegelt im Graffiti „Eggs und Hopp“ ein Stück unbeschwerte Anarchie, ebenso wie Thomas Leuners fröhliche Punk-Runde im L.O.F.T. Die schwarzweißen Fotografien erzählen aber auch von Tristesse, wenn etwa Hans W. Mende die Fernseh- Talk-Show in einer großbürgerlichen, verfallenden Wohnung zeigt oder Karl-Ludwig Langes Blick über die Stadtautobahn im Nebel schweift. So dokumentiert die Ausstellung ein Lebensgefühl aus scheinbar ferner Zeit. Man hatte sich eingerichtet in der einstigen Insel-Stadt; aber eben auf dünnem Eis (Preise: Vintages auf Anfrage; Reprints 400 Euro).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false