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KUNST Stücke: Tausend Teile

Birgit Rieger sieht die Lebenszeit in Videos verstreichen

Zu den Qualitäten der Kunst gehört, dass sie Ungewissheiten vermitteln kann. Und absurderweise schärft gerade diese Ungewissheit die Wahrnehmung – zumindest wenn es um Medienbilder geht. Ein junger Bilderstürmer, der diese Sehnsucht nach den unformatierten Bildern besonders gut zu stillen vermag, stellt derzeit in der Galerie Carlier Gebauer (Holzmarktstraße 15–18, bis 20. Oktober) aus. Es ist die dritte Einzelpräsentation, die die Galerie dem 1975 Geborenen widmet. Der Argentinier Sebastian Diaz Morales, dessen beklemmende Videos bereits durch die wichtigsten europäischen Kunststätten tourten, raubt in seiner neuen Arbeit „Ring“, die bislang nur auf der „Art Unlimited“ während der Baseler Kunstmesse zu sehen war, Fernsehbildern von Boxkämpfen oder Straßenschlachten den Realitätsbezug, indem er sie auf Schwarz-Weiß-Comics reduziert.

Zurück bleiben weiße Konturen auf schwarzem Grund, präsentiert auf vier Videokanälen. Ein Röntgenbild der Realität, aus dem vertraute Details wie Fleisch, Haut und Blut getilgt sind. Morales verweigert sich der standardisierten Medienrezeption, das zeigt auch die zweite Arbeit der Ausstellung: In „Simulacrum“ weckt der Künstler die Faszination für tausendfach gesehene Bilder durch ein neues Abspielmedium. Mehrere kleinformatige Videos, die um die Themen Fortschritt, Religion und Fremdheit kreisen, werden durch ein verspiegeltes, dem Kaleidoskop ähnliches Objekt betrachtet und in tausend Teile zersplittert. Die kindliche Entdeckerfreude, die sich beim Anblick der zahllosen Formen und Farben einstellt, wirft den Betrachter auf eine grundlegende Frage zurück: Was machen die Bilder mit dem Kopf?

Der aus Alaska stammende Künstler Reynold Reynolds hat sich in seinen Filmen den ganz dunklen Seiten des menschlichen Daseins verschrieben. Schon zur Berlin-Biennale 2006 führte er uns vor Augen, wie vereinzelt und elend Menschen in ihren Wohnkabinen leben. Dass man trotzdem gern hinsieht, liegt an Reynolds: Er versteht es, den Betrachter für den unaufhaltsamen Lauf der Dinge zu sensibilisieren.

Das Gären, Rotten und Gammeln ist eindeutig seine Kerndisziplin, auch in dem neuesten Film „Six Apartments“, der in der Galerie Alexandra Saheb zu sehen ist (Linienstraße 196, bis 20. Oktober). Reynolds präsentiert die verschiedenen Wohnungen eines Mietshauses wie ein wissenschaftliches Präparat. Der Alltag in den Wohnungen zieht auf zwei Bildschirmen am Betrachter vorbei wie ein Paternoster. Während eine aseptisch wirkende Mittvierzigerin ein trockenes Brötchen verspeist, nimmt eine junge Frau in ihrem Apartment Drogen. In einem anderen Stockwerk verbummelt ein dicker Mann seine Zeit vor der Mattscheibe, während eine alte Frau im selben Moment suchend in den Kühlschrank schaut. Während sich alle diese Nachbarn völlig separat voneinander mit Essen, Körperinstandhaltung und Langeweile beschäftigen, zerrinnt die Zeit und nimmt das Altern seinen Lauf. Im Grunde entwirft Reynolds ein zeitgenössisches Memento mori. Die Welt läuft ohne unser Zutun. Das sieht unglaublich trostlos aus, zeigt aber auch, dass jeder selbst für sein Glück verantwortlich ist.

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