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Kunst & Markt: Paradiese in Plastik

Arte Povera: Die Galerie Aanant & Zoo zeigt, wie 25 Konzeptkünstler mit einfachen Materialien umgehen.

Was macht eigentlich die Arte Povera? Nahezu ein halbes Jahrhundert, nachdem sechs italienische Künstler einfachste Materialien wie Erde, Glasscherben, Holz oder Fäden in einer bahnbrechenden Ausstellung nobilitierten, darf man sich die Frage ruhig stellen. Galerist Alexander Hahn, der Künstler Michael Müller und der freie Berliner Kurator Julian Schindele sind dem Thema nachgegangen. Nicht für eine Retrospektive mit Werken von Alghiero Boetti bis Jannis Kounellis. Sondern mit der Maßgabe, der Idee von damals in der aktuellen Kunst nachzuspüren: Was passiert, wenn man die eigene ästhetische Sprache aus dem Material und seinen Eigenschaften entwickelt?

Das Ergebnis ist eine Ausstellung, für die die Räume der Berliner Galerie Aanant & Zoo bei Weitem nicht gereicht hätten. Wie praktisch, dass sie zusammen mit den Kunstsaelen in jener großzügigen Bel-Etage-Wohnung in Schöneberg siedelt, die seit einigen Jahren von zwei privaten Sammlern für eigene Projekte und andere Initiativen unterhalten wird. Hahn hat sich ausbreiten können und zeigt nun in allen Zimmern eine fantastische Verkaufsausstellung mit dem Titel „Material Conceptualism: The Comfort of Things“.

Das klingt kompliziert und ist doch eine sinnliche Umschreibung für die versammelten Arbeiten. Eine feinfühlig kuratierte Schau mit Künstlern wie Luis Camnitzer, Jochen Dehn oder Geerten Verheus, die zum Programm der Galerie gehören. Sie zeigen, dass der schöpferische Umgang mit teils simpelsten Ausdrucksmitteln ohnehin ein zentrales Thema der Galerie ist. Vieles davon wurzelt im Konzeptualismus, verströmt aber zugleich eine frappierende Sinnlichkeit. Etwa wenn Verheus im gesamten Eingangsbereich leuchtend bunte Vinylstreifen von der Decke bis zum Boden aufhängt, die an strenge Malerei erinnern, zugleich aber wie ein Irrgarten aus Türvorhängen wirkt. Oder wenn Camnitzer für seine Installation „Paisaje“ (1985–2013) ein Regal voller Gläser aufbaut, die mit Sand, Wasser, blauem Pigment und weißer Watte gefüllt sind. Man kommt nicht umhin, an die Vorbilder – gemalte Seestück mit ihren charakteristischen Horizontlinien – zu denken.

Die Täuschung und das Assoziative zählen zu den wiederkehrenden Strategien, mit denen die versammelten Künstler Erkenntnis zu vermitteln suchen. „Ring“ (2007) heißt ein Wandbild von Michael Hakimi, die wie ein schwereloser, illusionärer Schatten wirkt. Dass das abstrakte Motiv von mehreren Stahlrohren abgestützt wird, sorgt für Irritation und lässt im selben Moment die flache Malerei zur Skulptur werden. Der junge Akademie-Absolvent Benjamin Greber taucht für seine Installation „Heizungsraum“ (2012) einen schmalen Flur in oranges Licht taucht und stellt darin eine in Stanniol abgeformte Heizung auf, die Wärme suggeriert. Obwohl es in dem Durchgang so kühl wie überall in den Kunstsaelen ist.

Die spanische Künstlerin Angela de la Cruz baut für „Transfer (Ivory)“ von 2011 eine brachiale Situation mit Stuhl und Sofa auf. Ihr eigener Körper lässt sich mit einer großen, geometrischen Form assoziieren, die den Raum dazwischen auslotet. Ähnlich anspielungsreich, dabei wie immer eminent politisch agiert Jimmie Durham, den die Galerie zur Teilnahme eingeladen hat und der gemeinsam mit de la Cruz, Guiseppe Penone oder Rudolf Polanszky die renommierten Positionen in der Ausstellung vertritt. Seine schlichte und dennoch eindringliche Skulptur „A Staff to Mark the Center of the World“ (2004) erinnert an eine Boat-People-Katastrophe (deren Opfer von der Küstenwache nicht gerettet wurden) und besteht aus kaum mehr als drei glatten Ästen und farbigen Namensschildern, auf denen von Hand geschrieben die Namen der Ertrunkenen stehen.

Die Ausstellung „Material Conceptualism“ erschöpft sich demnach keineswegs in der rein ästhetischen Selbstbetrachtung einer Kunstrichtung, die mit Plastikfolie, gefalteten Decken oder wie der belgische Outsider Pascal Tassini aus geknoteten Stoffen skulpturale Formen schaffen. Sie kann aber auch kein grundsätzliches Fazit ziehen: Dazu divergieren die 25 vorgestellten Positionen von den Absichten der Künstler bis hin zu den Preisen für ihre Werke, die sich zwischen 1100 und 100 000 Euro bewegen, viel zu sehr. Am ehesten leistet sie eine Bestandsaufnahme der Möglichkeiten, die sich aus den Begriffen Material, Konzept und Reduktion ergeben.

Sie reichen von der lapidaren Lichtinstallation eines Martin Bothe, der eine mit Marmorfolie beklebte MDF-Platte an die Wand lehnt, bis hin zu jenem assoziativen Raum, den Michael Müller in seiner Doppelfunktion als Künstler und Mitkurator geschaffen hat. „Zeitgenössischer Ton“ (2009/2013) ist eine vielteilige Installation von amorphen Skulpturen und Vitrinen aus farbigem Plexiglas, die Müllers Arbeiten wie in einem Museum einschließen. Ihre Fortsetzung erfährt die Installation allerdings an einem ganz anderen Ort: Der Künstler spannt die Fäden seiner Arbeit bis in die Galerie Thomas Schulte in Berlin-Mitte, wo Müller derzeit eine Einzelausstellung hat.

Auch Schulte steht für ein konzeptuelles Programm und weitet den Blick von der intensiven Zusammenschau Gleichgesinnter wieder auf ein konkretes Werk mit besonderen Ambitionen: Hier wechselt die Ausstellung alle zwei bis drei Wochen ihr Gesicht.

Galerie Aanant & Zoo (Kunstsaele), Bülowstraße 90. bis 19. 10., Mi–Sa 11–18 Uhr / Galerie Thomas Schulte, Charlottenstraße 24; bis 9. 11., Di–Sa 12–18 Uhr.

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