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Kultur: Kunstpreis: Bin ich Jesus? Hab ich Latschen?

Trommelwirbel, Tusch und - the winner is: Dirk Skreber. Endlich ist es raus.

Trommelwirbel, Tusch und - the winner is: Dirk Skreber. Endlich ist es raus. Der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst hat seinen ersten Gewinner, einen jungen Düsseldorfer Maler, dem gegenüber den anderen drei Kandidaten Olafur Eliasson, Katharina Grosse und Christian Jankowski eigentlich die geringsten Chancen eingeräumt worden waren. 100:5 stand die Wettquote; die Handvoll Skreber-Anhänger konnte am Ende des Abends im Hamburger Bahnhof ebenfalls eine erkleckliche Summe einstreichen, wenn auch weit entfernt von den 100 000 Mark, die ihr Favorit als Scheck entgegennehmen durfte.

Vorbild war der eine Woche zuvor verliehene Turner-Preis der Londoner Tate-Gallery (Tsp. 30. 11). Auch dort war effektvoll die Spannung geschürt worden, um dann mit Aplomb den Gewinner Wolfgang Tillmans zu verkünden. Der Verein der Freunde der Berliner Nationalgalerie hat sich exakt an die seit 16 Jahren in London erprobte Dramaturgie gehalten und damit ebenfalls für das vorweihnachtliche Kunstgeschehen der Stadt ein Event geschaffen, das in Berlin passenderweise auf den Nikolausabend fällt.

500 Mark musste jeder Teilnehmer des Charity-Dinners (zu Gunsten weiterer Kunstankäufe) berappen, als dessen Höhepunkt Kulturstaatsminister Michael Nauman den Sieger verraten durfte; Smoking war außerdem verordnet - als wäre sonst jemand auf die Idee gekommen, es könne sich um eine Buletten-Veranstaltung handeln. Nur den Künstlern wurde ihre legere Kleidung nachgesehen. Diese hatten sich schließlich zu wappnen für den Fall einer Enttäuschung. Wer würde dann schon gerne overdressed dastehen wollen.

So musste sich die Abendgesellschaft und mit ihnen die vier Finalisten erst durch ein veritables Menü arbeiten: Terrine vom Perlhuhn, gebratene Rotbarbe und glasierter Lammrücken, dazu Mauricio Kagels symbolträchtiges "Match für zwei Violoncelli und Schlagzeug", dazwischen die dinner speeches des Vereinsvorsitzenden Peter Raue, des Generaldirektors der Staatlichen Museen, Peter-Klaus Schuster, und des Initiators und Sammlers Rolf Hoffmann. Aus ihren wohl gewählten Worten hoffte man bereits Andeutungen über den Sieger herauszuhören. Oder verriet schon die von der Frau des Schatzmeisters ausgetüftelte Sitzordnung - Olafur Eliassson in der Mitte des Saals, die anderen eher am Rande - den Sieger? Mancher wollte es hinterher schon vorher gewusst haben: als im Zusammenhang mit Skrebers zusammengehämmerter Galeriebox das Baustellenflair besondere Erwähnung fand. Schließlich ist die Baustelle Berlins Lieblingsmotiv.

War am Ende dies sogar das Kriterium für Skrebers Kür? Als zu vorgerückter Stunde Naumann endlich den verschlossenen Umschlag öffnete, nachdem er die nichtsahnenden Verlierer noch um Verzeihung für den Gewinner und die Jury gebeten hatte, ging im Blitzlichtgewitter und dem Trubel des für den großen Moment gönnerhaft eingelassenen Journalistentrosses eine Erklärung für die Wahl des Siegers unter. Dabei hätte so mancher gerne erfahren, warum nicht der allgemein erklärte Liebling Christian Jankowski für seine subversive Videoarbeit den Preis erhalten hatte, in der er professionelle Redenschreiber auf jeden der vier Kandidaten vorab die Laudatio halten ließ? Oder Olafur Eliasson? Der in Berlin lebende Däne hatte aus unmittelbar hinter dem Hamburger Bahnhof ausgehober Erde eine achtzig Meter lange Wand geschaffen, die neben ihrer konzeptuellen Klarheit und subtilen Ästhetik schließlich auch einen Bogen zur Baustelle Berlin schlägt. Oder Katharina Grosses gigantische L-förmige Farbwand, die sich wie eine überdimensionaler bunter Schmetterling in der historischen Bahnhofshalle niedergelassen hat?

Die Erklärung müssen die sieben Juroren Peter-Klaus Schuster, Eugen Blume (Kurator vom Hamburger Bahnhof), die Vereinsmitglieder Anatol Gotfryd, Rolf Hoffmann und Claudia Tetzner sowie als externe Mitglieder die "Parkett"-Herausgeberin Bice Curiger und der Direktor des Kölnischen Kunstvereins Udo Kittelmann noch nachreichen. Doch kann man ihnen schon jetzt zur gewagten Wahl gratulieren. Sie haben das sperrigste Werk ausgezeichnet; als erster Preisträger macht es Dirk Skreber den generösen Freunden der Nationalgalerie nicht eben leicht. Ein Künstler, der in Interviews schon mal zurückblafft: "Bin ich Jesus? Hab ich Latschen?" Verärgerung über die Jury-Entscheidung wurde denn auch laut; demonstrativ verließ eine empörte Dame den Saal, um sich aber sogleich im Foyer am aufgebauten Dessertbüffet Trost zu holen.

Schon mit der Auswahl hatte die Jury eine glückliche Hand bewiesen, denn die aus der 113 Namen umfassenden "long-list" ausgewählten Finalisten hatten souverän die Aufgabe bewältigt, sich in der riesigen Bahnhofshalle einzurichten, wo sonst Anselm Kiefer und Mario Merz mit ihren Werken klotzen. Alle Vier hatten auf die Industriekathedrale mit eigenen Architekturen geantwortet, in denen sich ihre Kunst entfalten konnte. Wo sich jedoch bei Eliasson, Grosse und Jankowski sehr schnell der Reiz erklärt, der Witz erzählt, fordert Skreber zu eingehenderer Betrachtung auf, denn seine irritierenden Bilder verharren auf halbem Wege zwischen abstrakter und figurativer Malerei. Nie weiß der Betrachter recht, ob es ihm nun ums Motiv - Häuser, Züge, Landschaften - oder die reine Oberfläche, die Farbe geht. Beides verfolgt er mit Virtuosität, so dass man annehmen kann, die Jury wollte wieder einen Maler in die einstige Malerei-Hochburg Berlin heimholen.

Eines aber steht fest: Mit ihrem Nachwuchspreis haben die Freunde der Nationalgalerie einen Coup gelandet; allein die Dotierung mit 100 000 Mark bekundet den Willen zum Spektakulären. Wenn es aber dem Förderverein tatsächlich um mehr "Verständnis in weiten Kreisen der Bevölkerung für die Sprache junger Kunst" geht, dann reicht allerdings selbst ein so hoher Scheck noch nicht.

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