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Kunstraub: Nichts ist vergessen

Eine Moskauer Tagung über deutsch-russischen Kunstraub. Zu einem Ergebnis kam es nicht konkret, aber man will weiter einen Dialog führen.

Die einfachste und notwendigste Forderung angesichts der ungelösten Frage der im und nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerten Kulturgüter ist, sie dort, wo sie sich befinden, zu sichern. Jekaterina Genijewa, die Direktorin der Moskauer Bibliothek für ausländische Literatur, sprach diese conditio sine qua non bei der Tagung „Trophäen – Verluste – Äquivalente“ aus, die am Wochenende am Deutschen Historischen Institut in der russischen Hauptstadt stattfand. Dass es mit der Bewahrung der von der Roten Armee in die damalige Sowjetunion verbrachten Kulturgüter deutscher Herkunft nicht zum Besten steht, ist bekannt. Doch ob es nun beispielsweise sieben oder gar elf Millionen Bücher waren, die in Güterzügen gen Osten fuhren – schon darüber ist kein Einvernehmen zu erzielen.

Der Ist-Zustand war allerdings kein Thema dieser Tagung. Weit vor allen praktischen Fragen der Sicherung und Auswertung der verlagerten Bestände steht die Darlegung der unterschiedlichen Standpunkte. Nicht nur waren deutsche und russische Fachleute gleichermaßen vertreten, sondern erstmals ging es darum, die russische Seite angemessen zu Wort kommen zu lassen. Die russischen Museums-, Bibliotheks- und Archivleiter suchten ein Forum für ihr Beharren auf Ersatz oder Ausgleich der durch die deutschen Besatzer erlittenen Verluste, ja für die Darlegung dieser Verluste überhaupt. Es kann nicht das Ziel sein, „Schäden und Verluste gegeneinander aufzurechnen“, wie Gilbert Lupfer von den mitveranstaltenden Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sagte, sondern, sich „mit den Anliegen der anderen Seite offen auseinanderzusetzen“.

Für ein solches Wechselgespräch bedeutete die Moskauer Tagung einen enormen Schritt nach vorn. Wie sehr muss bisher aneinander vorbeigeredet worden sein, damit dieses Symposium derart zukunftsweisend wirken konnte! Wolfgang Eichwede, emeritierter Bremer Osteuropaforscher und in den vergangenen 20 Jahren eine treibende Kraft des – immer wieder beschworenen – Dialogs, beklagte die Handlungsstarre der deutschen Außenpolitik. Sie habe die Forderung nach Rückgabe der Beute- oder – je nach Standpunkt – Trophäenkunst „losgelöst von der historischen Verantwortung, wer den Kunstraub begonnen hat“, erhoben. Und zwar so lange, bis die russische Forderung nach „kompensatorischer Restitution“, die unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion 1990/91 nur eine von mehreren Möglichkeiten gewesen sei, sich zur unumstößlichen Forderung verfestigt habe, gestützt durch das Duma-Gesetz über die Verstaatlichung deutscher Kulturgüter von 1998. „Kommen wir von der Vorstellung los“, mahnte Eichwede, „dass nur Deutschland im Krieg verloren hätte!“ Wie gewaltig die Verluste sind, die Russland – und mehr noch die von der Wehrmacht besetzte Ukraine – erlitten hat, wurde denn auch zum Hauptthema der Tagung. Zu hören waren eindrucksvolle Referate, deren Materialfülle das Bedürfnis verdeutlichte, deutscherseits endlich Gehör zu finden.

Dass jedoch die russischen Institutionen – die Museen, Bibliotheken und Archive aus Moskau, aber auch aus Nowgorod, Pskow oder Wolgograd – untereinander kaum Austausch pflegen und von einer gemeinsamen Vorgehensweise, über die Verweigerung deutscher Rückgabeansprüche hinaus, meilenweit entfernt sind, war die eigentliche Überraschung dieses Symposiums. Wie es denn um die Suche nach fehlenden Kulturgütern innerhalb Russlands selbst stünde, fragte Frau Genijewa, nachdem mehrere Referate die Kriegsverluste bis ins letzte Detail aufgezählt hatten. Große Ratlosigkeit war die Antwort. Sie bestätigte die Einschätzung der Harvard-Historikerin Patricia Kennedy Grimsted, dass russische Statistiken nicht zwischen zerstörten und geraubten Objekten unterscheiden und auch nicht die Verluste beim Vorrücken der Sowjetarmee berücksichtigen.

Der von russischen Referenten genannte 23-bändige Verlustkatalog der „Außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der Untaten der deutschen faschistischen Eroberer“, der kurz nach Kriegsende erschien, wird erst in jüngster Zeit durch seriöse Bestandsaufnahmen ersetzt. Auch die Anzahl der von den westlichen Alliierten nach Kriegsende zurückgeführten sowjetischen Kulturobjekte wird bis heute in Russland kleingeredet. Immerhin handelt es sich um mindestens 270 000, eher jedoch um 500 000 Objekte. Die allerdings wurden nur zufallsweise den geschädigten Einrichtungen ausgehändigt, sondern verschwanden oft ebenso im Dunkel der Depots wie die aus Deutschland abtransportierte „Trophäenkunst“.

Der Forschungsbedarf, das wurde in Moskau deutlich, ist unverändert riesig. Die Verständigung der russischen Institutionen untereinander ist ebenso dringlich. Die deutschen Vertreter mussten erkennen, dass der Gedanke der „Kompensation“ der Kriegsschäden durch Beschlagnahmung deutscher Kulturgüter nach wie vor lebendig ist; ebenso wie der Irrglaube, in deutschen Museen seien bis heute nennenswerte Bestände russischer Herkunft versteckt. Da war es ein erhellendes Detail, dass Larissa Bardowskaja vom Zarenschloss Zarskoje Selo nahe St. Petersburg Spuren von Kriegsverlusten bis nach Spanien entdeckt hatte: Die „Blaue Division“ Francos, die an der Seite der Wehrmacht kämpfte und 1943 vor Leningrad eingesetzt war, ist offenbar für den Raub wertvoller Kunstschätze verantwortlich. Nicht jedoch für den des Bernsteinzimmers, das die Wehrmacht nach Königsberg entführte, wo sich die Spur verliert. Für Russland ist das Bernsteinzimmer das Symbol des deutschen Kunstraubs schlechthin und dessen Neuschöpfung mit deutscher Finanzhilfe nur ein schwacher Trost.

Wie weiter? Am Schluss wurde eine Resolution verabschiedet, die die Regierungen der beiden Länder auffordert, „unter Wahrung ihrer grundsätzlichen Standpunkte Wege und Verfahren zu ermöglichen, die die betroffenen Kultureinrichtungen in den Stand setzen, bei der Erfassung und dem Ausgleich dieser Schäden pragmatische Arbeit“ zu leisten. Gewunden formuliert, aber mit der gebotenen Umsicht, damit nicht weiterhin jedweder Dialog unter dem Druck der einmal bezogenen Rechts- und Gewissheitsansprüche erstirbt. Kulturgutverluste, hatte die Berliner TU-Historikerin Bénédicte Savoy dargelegt, sind so alt wie die älteste Antike – und lösen damals wie heute schmerzliche Emotionen aus, „die sich nicht verflüchtigen, sondern im Gegenteil verhärten“. In Moskau war diese Einsicht mit Händen zu greifen.

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