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Kultur: Kunstvernichtungskunst

Das Literaturhaus Berlin präsentiert Thomas Bernhards „Lebensmenschen“

Das Literaturhaus ist nicht mehr. Die äußere Hülle mag unversehrt sein, aber in seinem Inneren ist nichts, wie es war. Ein anderer Geist waltet dort nun. Es ist der eines toten österreichischen Schriftstellers, dessen Kunstvernichtungskunst, die auch eine Raumvernichtungskunst ist und eine Lichtvernichtungskunst, nicht zuletzt auch eine Luftvernichtungskunst, sich die Räume und das Licht und die Luft unterworfen hat. Fortan muss das Literaturhaus Thomas-Bernhard-Kabinett heißen.

Bernhard selbst empfängt einen an der Schwelle der Ausstellung, mit dem bestürzenden Eindruck, nicht mehr im Literaturhaus, sondern irgendwo ganz anders hingeraten zu sein. Der frühere Eingangsraum im ersten Stock ist zweigeteilt mit schwarzem Filz, und im rechten finsteren Kämmerlein flimmert Bernhards Gesicht in Schwarz-Weiß auf der Leinwand und beteuert mit Schalk in den Augen, er sei ein zufriedener Mensch. Und ein glücklicher. Deshalb schreibe er. Oder der ungeschützte Blick fällt auf den wütenden, innerlich tobenden Bernhard, der nach der Beschlagnahmung des Romans „Holzfällen“ 1984 die Knollennase in das gleißende Kameralicht reckt und seine unverbrüchliche Feindschaft zum Staat Österreich beteuert. Glück oder Pech, in jedem Fall gibt es nun kein Zurück mehr aus der Ausstellung „Thomas Bernhard und seine Lebensmenschen. Der Nachlass“.

Der Mann ist tot, seit 15 Jahren jetzt, und noch immer prägen die Skandale sein Bild. In den letzten Jahren sind allerdings die Akzente zunehmend ins Private verschoben worden. Die Freunde haben ihre Erinnerungsbücher und Fotosammlungen vorgelegt. In Gmunden arbeiten österreichische Forscher an dem Nachlass und der in Deutschland bei Suhrkamp erscheinenden Werkausgabe. Die „postume Emigration“, als die Bernhard sein Testament bezeichnete, in dem er verbot, seine Texte in Österreich zu drucken, zu zitieren und zu spielen, weicht der postumen Integration.

Die Ausstellung, die schon 2001 in der Wiener Nationalbibliothek, in der Hofburg, dem Heiligsten also, gezeigt wurde, setzt die bisherige Entwicklung fort: Martin Huber und Manfred Mittermayer verbinden die Präsentation des Nachlasses mit der Vorstellung von zwei Menschen, die von entscheidender Bedeutung für Thomas Bernhard waren: Johannes Freumbichler, der Großvater mütterlicherseits, und Hedwig Stavianicek, die mütterliche Freundin, in deren Familiengrab der Autor bestattet ist. Ausstellungsarchitekt Peter Karlhuber hat für diese beiden Themenstränge eine bezwingende Form gefunden: In der Mitte der zwei Räume wird jeweils einer der „Lebensmenschen“ in Fotos, Zitaten und Hinterlassenschaften präsentiert, während sich an der Wand, unter Fotos von Bernhard, ein Band von Manuskriptseiten und Büchern entlangzieht. Die Fenster sind verhängt, die Wände bis zur Decke mit schwarzem Filz ausgekleidet. Es herrscht eine dem Gegenstand angemessene Ausschließlichkeit, ja Monomanie.

Der Schriftsteller Freumbichler hatte 1937 den großen österreichischen Staatspreis bekommen, war aber nach dem „Anschluss“ erfolglos geblieben. Sein Scheitern ließ den Hass auf die Menschen wachsen, der in den Werken seines Enkels wiederzuhallen scheint – dort allerdings verwandelt wird zum Mittel der Selbstfindung. 1949 stirbt Freumbichler, und der tuberkulosekranke Enkel folgt um ein Haar nach. Als ein Jahr später seine Mutter stirbt, lernt er Hedwig Stavianicek kennen. „Du bist mir der liebste Mensch“, schreibt er ihr 1962, „wie soll ich es anders sagen. Meine Mutter? Ja! – ist das nicht so.“ Die 37 Jahre ältere Frau unterstützt ihn in jeder Hinsicht, auch in finanzieller. Hedwig Stavianicek ist Zeit ihres Lebens seine Vertraute. Bernhard nennt sie in „Wittgensteins Neffe“ seinen „Lebensmenschen“.

Ob und wie beide Personen Eingang in das Werk Bernhards gefunden haben, muss der Besucher selbst herausfinden – indem er ein, zwei Schritte zurücktritt von den großen Platten auf den nach Entwürfen Bernhards gefertigten Tischen und an der Wand in den Manuskripten zu lesen beginnt. Sie sind auch für jene, die die Aura von leicht gelblichem, meist mit der Schreibmaschine beschriebenem Papier gering schätzen, eine Sensation. Dieser Autor, dessen Prosa sich absatzlos wie ein Katarakt über die Buchseiten ergießt, hat seine Manuskripte stark überarbeitet. Die frühen Prosaschriften werden erst durch Streichungen monologisch.

Am Ende dann noch einmal der Bewohner des Vierkanthofes, eingesperrt in die dunkle Vierkanthöhle des medialen Guckkastens. Nichts von diesem Erreger, Verstörer, Verzweifelten ist einem – glücklicherweise! – erläutert worden. Aber dennoch ist vieles verständlicher geworden.

Literaturhaus, Fasanenstr. 23, bis 18. Juli. Täglich 11–19 Uhr, Katalog 30 €.

Jörg Plath

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