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Kultur: Kunstwerk Körper

Reiz der Grausamkeit: Mit zwei Ausstellungen

Von Christina Tilmann

Ein Raum, gefüllt mit weißem Nebel. Feucht, beklemmend legt er sich auf die Haut, süßlich duftend auf die Atemwege. Eine Atem beraubende, Atem nehmende Installation, körperlich, dicht, intensiv. Es ist das Wasser, mit dem in den Leichenhäusern von Mexico City die Toten gewaschen werden, das hier, desinfiziert, parfümiert und vaporisiert, den Besucher umhüllt. Gottfried Benn, der die Süße und den Schrecken der Morgue beschrieb, hätte sich wohl gefühlt.

Oder: Eine golden schimmernde Wand, sechs Meter hoch, zwanzig Meter lang, bemalt mit einer weichen, wächsernen Substanz. Die ganze Kopfseite der Kunst-Werke füllt sie mit ihrem Glanz, lockt und hält gleichzeitig auf Distanz. Die „Murales“, die mexikanischen Wandmalereien, füllten ähnliche Formate, die Werke Mark Rothkos haben eine ähnliche Aura. Schönheit pur – auch dann, wenn man weiß, dass es sich um sieben Kilogramm menschliches Fett handelt, das bei Schönheitsoperationen abgesaugt und auf die Wand aufgetragen wurde?

Die Werke von Teresa Margolles, zu sehen in zwei Berliner Ausstellungen, die sich der zeitgenössischen Kunst in Mexiko widmen, sind Extremwerke: einer Kunst, die an das Ende des Lebens geht, in die Niederungen, an die Grenze des Erträglichen – und über sie hinaus. Und die gleichzeitig mit erstaunlicher Kraft den Anspruch der Kunst angesichts von Elend und Tod behauptet. „Nur die Schönheit ist es, die viele Arbeiten erträglich macht“, weiß Kurator Klaus Biesenbach. Seine Ausstellung „Mexico City“ fokussiert genau das, was Margolles ins Zentrum stellt: die Grausamkeit, die Gewalt des Überlebenskampfes in einer 20-Millionen-Stadt und die Möglichkeit, angesichts dieser überwältigenden Realität die eigenständige Kraft der Kunst zu behaupten.

„Eine Ausstellung über den Wechselkurs von Körpern und Werten“ hat Biesenbach die Ausstellung untertitelt und damit den Blick auf das Kreatürliche, auf körperliche Ausbeutung, Abhängigkeit und Kapitalismus gelenkt. Santiago Sierra hatte vor zwei Jahren in den Kunst-Werken Asylbewerber in Pappkartons gesetzt, stunden-, tagelang. In Venedig bezahlte er Afrikaner, um sich die Haare blond färben zu lassen. Die Käuflichkeit menschlicher Würde, der reine Warenwert des Körpers ist auch in Sierras neuer Arbeit in den Kunst-Werken thematisiert: Im Sommer 2002 bezahlte er Arbeiter in Kuba, damit sie in Handarbeit eine amerikanische Flagge nähten. Das Produkt wurde noch während der Präsentation in Brand gesteckt.

Im Sommer war „Mexico City“ im New Yorker „P.S.1“ zu sehen, der dem „Museum of Modern Art“ angegliederten Kunstfabrik, deren Chefkurator Biesenbach ist. Und es zeigte sich, dass es nicht nur eine Ausstellung über die Zustände in Mexiko, sondern in vielen Punkten auch eine über die Schwachstellen Amerikas ist: Das Körperfett, das für Margolles’ Arbeit benutzt wurde, durfte nicht eingeführt werden. Die Verbrennung der amerikanischen Flagge wurde in keinem Artikel erwähnt. Eine andere Arbeit, in der Minerva Cuevas die Strichcodes in amerikanischen Supermärkten veränderte, führte beinahe zum Verbot der Ausstellung. Und auch die Arbeit von Miguel Calderon und Yoshua Okon, die 120 Autos aufbrachen, um die Radios zu klauen, griff zu direkt nach dem Herzen des amerikanischen Wirtschaftssystems, der Unantastbarkeit des Eigentums.

Ob die beiden Künstler die Radios wirklich geklaut haben, ob die Mexikaner, die Cuevas in einer anderen Arbeit in Markenkleidung von Nike und Tommy Hilfinger fotografierte, Originalmarken oder Fälschungen trugen, ob die Pavillons, die Pedro Reyes aus Plastikschnüren flocht, um der erdbebengestraften Stadt Mexico City einen mobilen Schutzraum entgegenzusetzen, wirklich von Gefangenen hergestellt wurden - wer weiß. Die Überlagerung von Original und Fälschung, Fiktion und Dokumentation schafft eine Unschärfe, die für Kunst charakteristisch ist.

Nicht umsonst ist die Ausstellung, die größte, die in den Kunst-Werken bislang zu sehen war, schon in New York zur wichtigsten Sommerausstellung der Stadt erklärt worden. Erstaunlich präzise und dicht konzentriert sich Biesenbach auf sein Thema, auf die Gewalt, die aus dem Zusammenleben von Millionen von Menschen, aus dem Zusammenprall von Reich und Arm und dem ungezügelten Kapitalismus erwächst. Das ist nicht frei von Pathos, es ist auch – wie gelegentlich moniert – ein Blick von außen, ein europäischer, kritischer. Aber es ist vor allem ein Glaubensbekenntnis für die Kraft der Kunst, wie man es der gerade beendeten Documenta gewünscht hätte.

Ein „kohärentes, plausibles Konzeptwerk“ hatte der Kritiker der „NY Times“ die Ausstellung genannt. Aber auch eines, das „die Tür offen lässt für ein anderes Update.“ Ein solches bietet die von der mexikanischen Kuratorin Magali Arriola im Rahmen des Festivals „MEXartes“ entworfene Parallel-Ausstellung „Zebra Crossing“ im Haus der Kulturen der Welt. Abgesehen davon, dass sich hier Künstler wie Teresa Margolles, Pedro Reyes, Eduardo Abaroa oder Melanie Smith wiederfinden: Arriolas Bild einer zeitgenössischen mexikanischen Kunst ist nicht monothematisch, sondern divers, nicht pessimistisch, sondern hoffnungsvoll. „Magalis Ausstellung behauptet: Wir sind wie ihr. Wir sagen: Es ist alles ganz anders“, bringt Biesenbach die beiden unterschiedlichen Ansätze auf den Punkt, die – einmal von innen, einmal von außen, einmal erschreckend brutal, einmal erfreulich bunt – sich nur an einem Punkt treffen: Darin, dass sich hier eine Kunstszene präsentiert, die zehn Jahre lang im Verborgenen wachsen konnte und heute zu den stärksten, aufregendsten der Welt gehört. Von diesen Künstlern wird man noch hören.

Zebra Crossing, Haus der Kulturen der Welt, Eröffnung heute abend, 19 Uhr. Bis 1. Dezember, Di bis So 11 bis 19 Uhr

Mexico City, Kunst-Werke, Auguststraße 69, Eröffnung Sa, 21. September, 17-21 Uhr. Bis 5. Januar, Di bis So 12 bis 18 Uhr

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