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Corazones de mujer

© promo

Kurz & Kritisch: Panorama-Filme der Berlinale

Autoren bewerten Filme der Sektion "Panorama". Mit dabei: "Love and other Crimes", "Sag mir, wo die Schönen sind", "Corazones de mujer".

PANORAMA

Raus aus dem Grau:

„Love and Other Crimes“

Neu-Belgrad ist eine triste Plattenbaulandschaft. Ab und zu weist ein farbiger Schriftzug auf eine Videothek, eine Bäckerei oder eine Fahrschule hin. Milutin (Feda Stojanovik) betreibt ein Solarium und ist der Boss einiger Kleinkrimineller. Er weiß, dass seine Zeit bald abläuft. Um die Ecke macht eine Shoppingmall auf. „Dann gibt es nur noch große Player.“ Seine 14-jährige Tochter, die nicht sprechen will, hat sich in eine warme Gegenwelt geflüchtet. Sie schaut ständig lateinamerikanische TV-Soaps, isst Orangen und singt „Bésame mucho“. Ihre Stiefmutter Anica (großartig: Anica Dobra) plant den realen Ausbruch: Am Abend will sie – mit Geld aus Milutins Safe – das Land verlassen. Auf ihrer heimlichen Abschiedsrunde durchs Viertel trifft sie Stanislav (Vuk Kostik), der von ihrem Plan weiß.

Sehr präzise und mit einem liebevollen Blick auf seine Figuren schildert Stefan Arsenijevik in seinem Debütspielfim einen Mikrokosmos, in dem sich viele aktuelle Probleme Serbiens spiegeln. So haben in den letzten 15 Jahren über 300 000 junge Menschen das perspektivlose Land verlassen. Der 30-jährige Arsenijevik zeigt, wie schwer dieses Weggehen ist. Dabei erinnern sein psychologisch genauer Stil und auch sein Blick auf Belgrad an „Klopka“ (2007 im Forum) von Srdan Golubovik. Die beiden Regisseure gehören zur neuen serbischen Filmemachergeneration, von der man sicher noch einiges hören wird. Nadine Lange

14. 2., 22.30 Uhr (Colosseum 1), 16. 2., 22.30 Uhr (Cinemaxx 7)

PANORAMA

Die Töchter von Leipzig:

„Sag mir, wo die Schönen sind“

Im Mai 1989 fanden in der DDR jene Kommunalwahlen statt, mit denen schon im Frühling der Herbst 1989 begann. Zustimmung 99,8 Prozent? Das glauben wir nicht, rief, noch vereinzelt und zaghaft, das Volk. Jetzt erfahren wir, dass es in jenem Frühling noch eine Wahl gab. Die vielleicht erste freie, gleiche und geheime Misswahl in der DDR.

Früher hätte ihr solcherart Zurschaustellung von Weiblichkeit – meist in West-Badeanzügen! – als westlich-dekadent gegolten, aber sie besaß keine Widerstandskräfte mehr. Der Fotograf Gerhard Gäbler fotografierte damals die „Miss Leipzig“-Kandidatinnen, kurze Interviews entstanden. Regisseur Gunther Scholz hat die heute Fast-oder-über-Vierzigjährigen besucht. Sie waren Salzstangenherstellerin, Pionierleiterin oder Studentin und sagten fast alle wie die Straßenbahnfahrerin: „Ich stehe mit beiden Beinen fest im Leben“, nur waren die eben besonders schön, obwohl teilweise stark behaart. Kandidatin Diane: „Das muss man sich vorstellen!“ – makellos glatte Nicht- Urwald-Beine haben inzwischen alle. Aber stehen sie noch fest? Die Kinder von Golzow, einmal anders. Gunther Scholz’ Film zeigt, was aus den Töchtern von Leipzig geworden ist. Kerstin Decker

Heute 12 Uhr (Cinestar 7), 14. 2., 22.30 Uhr (Cinestar 7), 16. 2., 15.30 Uhr (Colosseum 1)

FORUM

Gräser im Gegenlicht:

„Seaview“

1948 wurde in Mosney bei Dublin eine lichte Feriensiedlung für irische Familien eröffnet, mit Pool, Meerblick, Fish & Chips-Bude, Bingo und großem Ballsaal. Heute leben in Mosney Familien aus aller Welt, die in Irland Asyl beantragt haben. Sie werden – verglichen mit den Verhältnissen in deutschen Herbergen – gut behandelt. Aber sie dürfen nicht handeln. Wie in Deutschland ist es ihnen verboten zu arbeiten. Doch sie bleiben ja nicht für ein paar Urlaubswochen in Mosney, sondern oft viele Jahre, bis über ihre Anträge entschieden wurde. Für Kinder, und es gibt viele Kinder in Mosney, werden es wahrscheinlich die für ihr späteres Leben prägenden Jahre sein.

Die Filmemacher Paul Rowley und Nicky Gogan wollten eigentlich einen Spielfilm über Asylsuchende drehen, als sie bei der Recherche auf Mosney stießen, „diesen riesigen surrealen Warteraum voller Menschen mit unterschiedlichen Hoffnungen und Ängsten“, wie sie schreiben. Statt Ideen und Geschichten für ihr Drehbuch zusammenzutragen, organisierten die beiden erst mal Musik- und Videoworkshops. Auch der Film selbst ist das Produkt einer solchen Zusammenarbeit mit den Mosneyanern. Unmittelbarkeit ist auch in den Gesprächen und Begegnungen zu spüren und lässt einen über manche ästhetische Irritation hinwegsehen: ein aufdringlicher Sound, effekthascherische Kameraeffekte. Und Gräser im Gegenlicht sollte man auf Video auch nicht drehen. Aber das sind Kleinigkeiten bei einem sonst gelungenen und wichtigen Film. Silvia Hallensleben

Heute 21.30 Uhr (Cinestar 8)

PANORAMA

In geheimer Mission:

„Corazones de mujer“

Für totale Künstlichkeit hat sich das Regisseursduo David Sordella und Pablo Benedetti entschieden. Der unter dem Pseudonym Kiff Kosoof von ihnen inszenierte Film „Corazones de mujer“ begleitet Zina, eine Italienerin marokkanischer Abstammung, und ihren Transvestiten- Freund Shakira auf einer geheimen Mission. In Casablanca soll Zina zur Jungfrau operiert werden, da ihre Hochzeit mit einem vermögenden Araber bevorsteht.

Besonders glaubwürdig ist das Geschehen nicht. Zina soll eine Gefangene ihrer Kultur sein, von der Familie in eine Vernunftehe gezwungen, aber ihre Kleidung und Schminke sowie ihr selbstbewusstes Auftreten sprechen dagegen. Die Familie lässt es sogar zu, dass sie allein mit einem Freund quer durch Spanien nach Marokko reist. Diese Reise wird von den Regisseuren eigenwillig bebildert. Es dominieren Hochglanzaufnahmen wie aus einem Modemagazin, dann wird unvermittelt über Sergio Leone gesprochen, und die Bilder orientieren sich an Italo-Western. Greise Männer bilden eine Art griechischen Chor. Die Stilisierungen wirken mitunter aufgesetzt und angeberisch, man kann sie aber auch als Eingeständnis deuten, dass der abenteuerliche Ausflug von Zina und Shakira nur in einer Traumwelt möglich ist. Frank Noack

Heute 20.30 Uhr (Cubix 7 & 8), 15. 2., 20 Uhr (Cinemaxx 7), 16. 2., 22.45 Uhr (Cinestar 3), 17. 2., 17.45 Uhr (Cinestar 3)

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