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Kultur: Kurzzeitgedächtnis

Dreißig Jahre hat es gedauert, bis die einflußreichen städtischen Baugesellschaften in Wien sich trauten, der mittlerweile ergrauten Avantgarde Planungsaufgaben zu übertragen.Das hält sie jedoch nicht davon ab, sich heute als Förderer "junger Büros" feiern zu lassen.

Dreißig Jahre hat es gedauert, bis die einflußreichen städtischen Baugesellschaften in Wien sich trauten, der mittlerweile ergrauten Avantgarde Planungsaufgaben zu übertragen.Das hält sie jedoch nicht davon ab, sich heute als Förderer "junger Büros" feiern zu lassen.Das Architekturbüro Coop Himmelb(l)au wurde 1968 in Wien gegründet und gehört zu den erfolgreichsten Dekonstruktivisten in Europa.In Wien kann man als Architekt fast nur mit Wohnungsbauprojekten groß werden.Denn der soziale Wohnungsbau prägt Wien mehr als alle Kultur- oder Bürobauten.Genau das ist Coop Himmelb(l)au jetzt gelungen.Drei große Wohnbauten konnten die Architekten in Wien ergattern: Einer ist bereits fertiggestellt, einer im Bau und einer in der Schwebe.Die visionären Ansätze der späten sechziger Jahre blieben ungebaut, weil die Architekten damals "die Politik unter- und die Bauindustrie überschätzt" haben.

Zusammen mit dem neuen Ufa-Kino in Dresden widmet die Architekturgalerie Aedes East diesen Projekten derzeit eine kleine Ausstellung."Der öffentliche Raum droht verloren zu gehen.Ursache dafür ist die finanzielle Situation der Städte, die zwingt, öffentlichen Raum an Developer abzugeben, die mit monofunktionalen Gebäuden Gewinn aus Grund und Boden schlagen", so die Architekten.Das gläserne Kristallfoyer des Kinos ist deshalb als öffentlicher Stadtplatz konzipiert.Es ist von der Straße aus einsehbar und artikuliert sich nachts mittels Projektionen nach außen.In Berlin konnte Coop Himmelb(l)au zwar noch kein Projekt verwirklichen.Dennoch verhalf ihnen - wie auch der dekonstruktivistischen Londoner Kollegin Zaha Hadid - ein Projekt in Deutschland zum Durchbruch.

Bei dem fertiggestellten Wohnhochaus im Neubauviertel Donaucity, von dem sich die Planer erhoffen, daß es sich zu einem zweiten Zentrum Wiens mausert, waren die Entwerfer bestrebt, Fassade und Baukörper voneinander zu lösen.Die zahlreichen Schrägen bewirken zusätzlich unterschiedliche Grundrisse in jedem Geschoß.Ähnlich wie beim Kino wird der räumliche Luxus dabei durch derbe Oberflächen erkauft.Ein anderes Projekt sieht vor, ein riesiges Gasometer zu einer Wohnanlage mit Musikhalle für Rockkonzerte umzubauen.

Die Ausstellung zeigt das Herantasten der Architekten an die endgültige Lösung über eine Vielzahl grober Arbeitsmodelle.Eine gewisse Wahllosigkeit, die Kritiker der Coop vorwerfen, wird davon allerdings untermauert.Nachvollziehbar wird dadurch der Weg von Skizzen über wackelige collagierte Modelle bis zu den gestochen scharfen weiß-blauen Ausführungsplänen, wie sich eine Lösung im wahrsten Sinne des Wortes herauskristallisiert.

In einem Werkvortrag an der TU Berlin stellte Wolf Prix, einer der beiden Köpfe der Coop, seine Ideen über "Architektur im Zeitalter des Turbokapitalismus" vor.Er hält Flughäfen, Mobilfunknetze und das Internet für die öffentlichen Räume unserer Zeit: "Achsen und Zentralperspektive haben ausgedient.Der Surfer hat den Flaneur ersetzt".Die janusköpfigen Räume, die Coop Himmelb(l)au entwirft, haben nach Prix nur die Aufgabe, die "Illusion einer Realität zu verbessern".Wenn in der Postmoderne "jeder recht hat und dennoch nichts richtig ist", entsteht Architektur für das Kurzzeitgedächtnis.Die Konsequenz, daß Architektur also Komplexität ausdrücken soll, ist jedoch nicht zwingend.Steigender Bedarf herrscht auch für das exakte Gegenteil.

ULF MEYER

Galerie Aedes East, Hackesche Höfe, Rosenthaler Str.40/41, bis 20.Januar.Katalog 20 DM.

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