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Kultur: KZ Sachenhausen: Erinnern ist ein Widerspiel aus Nähe und Distanz

Manche nennen Oranienburg "die Stadt der SS". Das sind die Historiker.

Manche nennen Oranienburg "die Stadt der SS". Das sind die Historiker. Es ist unwahrscheinlich, dass auch die Oranienburger "Stadt der SS" denken, wenn sie ihren Namen aussprechen. Hier schon liegt die crux allen historischen Erinnerns - Alltäglichkeit. Ist die Alltäglichkeit reaktionär, dunkelmännerisch? Vielleicht sind auch uns Berlinern das KZ Sachsenhausen und Oranienburg viel zu nahe, um sie wirklich wahrzunehmen. Und wer im Sommer an den Lehnitzsee kommt, sieht sofort, dass keiner hier an das Lager nebenan denkt.

In Oranienburg geht heute ein Internationales Symposium zuende, geleitet von Gerd Appenzeller vom Tagesspiegel. Es gab sich den Titel "Orte des Verbrechens zwischen Geschichte und Stadtentwicklung". Es hätte auch "Orte des Verbrechens zwischen Erinnern und Alltäglichkeit" heißen können. Was soll werden aus dem früheren SS-Truppenlager am KZ Sachsenhausen, das Himmler das "erste moderne, vollkommen neuzeitliche Konzentrationslager" nannte? So modellhaft eben wie die zugehörige Ausbildungsstätte der SS-Totenkopfverbände. Ja, die "Orte" sind noch da, Exerzierplatz, Baracken und das frühere SS-Gemeinschaftshaus. Verfallen ist schon vieles. Muss man es "retten"? Vor acht Jahren wußte Oranienburg noch genau, was aus dem "Täterbereich" werden sollte. Macht Wohnungen draus! Und die Stadt schrieb einen Architektenwettbewerb aus.

Wohnungen? "It was so stupid, so banal", erklärt Daniel Libeskind auf dem Symposium seine erste Reaktion damals. Libeskind, der Disqualifizierte des Wettbewerbs. Nun gut, er bekam einen Sonderpreis. "Thema verfehlt", hätten die Lehrer in der Schule unter seinen Entwurf geschrieben. Thema verfehlt, wirklich? Sachsenhausen, das war für ihn ein Name wie ein schwarzes Loch, sagt der Architekt. Sagt es genau aus jenem Abstand heraus, den es braucht, um deutlicher zu sehen. Vielleicht wäre er vor den Badenden am Lehnitzsee erschrocken und vor den Sonnenuntergängen hier. Leben an solchem Ort. Eine Geschichtslüge? Libeskind fand, dass man keine Wohnungen in schwarze Löcher bauen sollte. Den meisten leuchtet das inzwischen ein, schon rein architektonisch gesehen. James Young von der Universität Amherst und andere Wissenschaftler begründen das jetzt mehr historisch. Auch Günther Morsch, Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, tadelt die Geschichtsvergessenheit des Wohnens.

Libeskind wohnt nicht in Oranienburg. Mittlerweile weiß er, dass das sein Fehler war - rein systematisch gesehen. Von seiner ersten Idee: Leiten wir den See um und fluten das SS-Areal, dass nur die Dachziegel herausschauen - Wegschwemmen das Ganze! - ist nichts mehr übrig. Und war sie nicht, rein ästhetisch gesehen, gar ein wenig - Kitsch? Auch reagierten die Oranienburger, praktisch veranlagt wie jede Alltäglichkeit, mit Sorge um die Trockenheit ihrer Keller. Wahrscheinlich verstanden sie nicht mal den Gedanken, eine Bundesstraße flutungsbedingt zu verlegen. Dass es aber ungemein wichtig ist, dass auch die Oranienburger alles begreifen, nicht nur Wissenschaftler und Architekten sich selbst, hebt Gerd Appenzeller immer wieder hervor.

Erinnerung ist nicht ohne Leben, weiß Libeskind inzwischen, sie ist auch nicht ohne ein Ferment der Hoffnung. Es gibt nicht nur den Abstand, aus dem man deutlicher sieht, wahrscheinlich braucht man auch die Nähe. Erinnern ist ein Widerspiel aus Nähe und Distanz. Der letzte Entwurf Libeskinds lebt ganz aus diesem Gedanken. Er lässt die Orte nicht mehr verschwinden, aus der Flutungsidee ist ein kleines Wasserbett rund ums SS-Gemeinschaftshaus geworden. Allerorts kleine Verfremdungen, um den Häusern und Ruinen ihre Fraglosigkeit zu nehmen. Architektonische Stolpersteine. Wege durchschneiden als Diagonalen das Gelände, stellen im Geiste die Verbindung zu den Außenlagern her. In der Mitte aber soll der vom Landesdenkmalamt abgelehnte "Einschnitt der Hoffnung" liegen, nutzbar als Gewerbe- und Dienstleistungsfläche (Tagesspiegel vom 16. 3.). Sehr gegenwärtig-praktisch, ja, gänzlich unbekümmert um das Vergangene.

Denn den Geist des Lebens dem Geiste des Todes gegenübersetzen, ist eine starke Bannung. Sie war der Kern der "Wohnidee", keine bloße Geschichtsvergessenheit des Ostens. Libeskind hat sie aufgenommen. György Konrád, der Akademiepräsident, vertraut ihr noch immer, sogar als "Wohnidee". Wo sich Liebende umarmen und Kinder spielen, entspringe nichts Böses.

Allerdings, Konrád weiß es, wäre das eine Bannung ohne historisches Gedächtnis. So wie die Oranienburger heute in der früheren "Inspektion der Konzentrationslager" ihre Steuererklärungen abgeben. Ihr Blicke werden die fehlenden Stücke an den Treppengeländern nicht zu SS-Runen ergänzen. Nichts weist darauf hin, dass von hier aus einmal alle Konzentrations- und Vernichtungslager geleitet wurden. Libeskinds Entwurf dagegen ist die Verbindung aus Alltag und Eingedenken. Er erinnert Geschichte, ohne von ihr besessen zu sein.

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