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© david baltzer/bildbuehne.de

La Traviata: Der Herzausreißer

Hans Neuenfels, der amtierende "Regisseur des Jahres, seziert "La Traviata" an der Komischen Oper Berlin. Am Ende bleibt ein Kern, eine Nacktheit, die den Abend beinahe unheimlich macht.

Fehlte nur, dass es noch zuckt. Tut es aber nicht. Liegt bloß da wie ein Modell aus der Anatomie des 19. Jahrhunderts, Aorten, Hohlvenen, Arterien inklusive. Ein kaltes Ding, dieses Herz der Violetta Valéry, das das ihre ist und auch wieder nicht und nun auf einem klapprigen Sezierwagen herein gefahren wird. Schon blitzen die Messerchen in den Händen Alfreds/Alfredos und des Barons Douphol, seines Konkurrenten. Nicht um Karten spielen sie, wie bei Giuseppe Verdi, sondern um den besten, tiefsten, tödlichsten Stich. "Die Liebe darf nichts kosten außer das Leben", so lautet Hans Neuenfels' nihilistisches Motto für diese "Traviata"-Premiere an der Komischen Oper Berlin, und nichts wünschte man sich sehnlicher, als das eigene Leben über dem Rausch der Gefühle und der brennenden Logik der Musik ein Stück weit zu verlieren.

Passiert aber nicht, und also fühlt man sich zunächst getäuscht, betrogen. Neuenfels, der amtierende "Regisseur des Jahres", der seit seiner legendären Frankfurter "Aida" und bis und mit seinen Arbeiten an der Deutschen Oper Berlin ("Il Trovatore", "Nabucco") die Verdische Seele völlig neu aufgeschlüsselt hat, soll ausgerechnet für das Wunschkonzertstück "Traviata" keine Kraft aufbringen, keinen Eros? Verbarrikadiert sich hinter einem Konzept, das zwar schöne Motti produziert, aber sonst nur Müdigkeit, Depression, Schulterzucken?

Mag sein, es hat der Aufführung nicht gut getan, dass sie vor ein paar Jahren bereits für die Oper Bonn geplant wurde (was damals am guten Willen des Hauses scheiterte). Hervorbringungen aus dem Archiv sind immer heikel - und künstlerische Halbwertzeiten unberechenbar. Mag sein, Regisseur und Dirigent waren sich nicht grün. Dennoch: Es bleibt ein Kern, eine Nacktheit, die diesen Abend in seiner Konsequenz fast unheimlich macht. Verdis "Traviata", so zeigt Neuenfels, malt kein gesellschaftliches Sittenbild, verfügt über keinen aberwitzig verwickelten, historistischen Plot und hält es überhaupt wenig mit der Konvention. In der "Traviata" nimmt das Utopische Gestalt an: Oper ohne allen Opernplunder. Ganz pur, ganz innen, ganz Nur-Mensch.

Mit dieser Aufgabe Sinéad Mulhern zu betrauen, schien gewagt

Dass Bühnenbildner Christof Hetzer diesen Gedanken an der Behrenstrasse mit knatternden Vorhängen und rastlos rein- und rausratternden Metallplatten in eine Art Röntgenanstalt überführt, wirkt sicher etwas altbacken und angestrengt. Dem archetypischen Ausgestelltsein des Personals aber dient es, und Elina Schnizlers bemerkenswert differenzierte Kostüme (echsenhaftes für Adrian Stroopers Gaston, Papagena-Federn für Karolina Gumos' Flora, Christiane Oertels Annina mit einer Anmutung à la Oskar Schlemmer, ein veritabler Pferdefuß für Aris Argiris als Vater Germont) kommen in diesem schwarz gleißenden Ambiente großartig zur Geltung.

Wie Verdis Partitur sich in verzweifelter Kurzatmigkeit immer neue Anlässe für immer neue, letzte, allerletzte Nummern und Arien sucht, so genügen auch Neuenfels Anreißer, Zitate, Apercus, um das Nötige zu erzählen. In der Karnevalsszene des dritten Aktes etwa kommt er mit Violetta und ihrem streitbarem Alter Ego aus, jener Zuhälterfigur (sexy: Christan Natter), dem stellvertretend kurz zuvor das besagte Herzchen aus dem Leib geschnitten wurde. Zwei Hodensäcke baumeln dem Kerl nun vor dem Gemächt, eine lange Nadel, zwei innige Piekser - aus ist es mit der Potenz, der Lebenswut, der Liebe, dem Genuss selbst im Entsagen. Violetta bekommt ein neues Kleid übergestreift, der Tod kann kommen. Virtuoser geht Regie nicht.

Wenn die Musik bisweilen aus dem Bühnen-Off respektive aus einem Lautsprecher erklingt (im Karneval, zu Alfreds Einwürfen in "È strano"), dann heißt das auch: Violetta spricht, denkt, fühlt hier. Sie ist die Welt. Und Welt ist nur, was sie spiegelt. Mit dieser Aufgabe Sinéad Mulhern zu betrauen, bis 2007 Ensemblemitglied an der Komischen Oper, schien von vorneherein gewagt. Denn so sehr die Irin sich müht: Eine Sängerdarstellerin, die diesen unbarmherzig leeren Raum qua Aura füllte, ist sie nicht. Prompt gelingt ihr der vergleichsweise opernhafte Schluss, das finale Ersticken und zu Boden Sinken noch am überzeugendsten.

Man singt durchgängig deutsch - viel ist nicht zu verstehen

Auch stimmlich bleibt Mulhern der Partie mit nervös flackerndem Vibrato und Angst besetzten Höhen leider mindestens so viel schuldig wie der unermüdliche Timothy Richards seinem Alfred: Stilistisch grob und kein Quäntchen Schmelz im Tenor. Kleiner Trost: Von der ranzigen Felsenstein-Übersetzung des Librettos - man singt an der Komischen Oper in guter alter Tradition immer noch durchgängig deutsch - ist bei beiden nicht viel zu verstehen.

Und Carl St. Clair, der neue Chefdirigent des Hauses? Haut den Lukas und bleibt mit seltsamen Überakzentuierungen irgendwo zwischen Vorstadtkino, Tanzboden und Verismo-Schocker stecken. In jedem Fall ist das Energiepotenzial im Graben dauerhaft hoch. Von der Delikatesse des mittleren Verdi indes, von der glühenden Morbidität des Geschehens, von den selbstmörderischen Zeiten, in denen wir leben, nicht die geringste Spur. Eine Musik löscht sich selbst aus - wahrlich eine schwere Hypothek. Nicht nur für den Regisseur.

Wieder am 26., 29.11. und 5.12.

Christine Lemke-Matwey

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