zum Hauptinhalt
Feurige Lady. Emma Hamilton als Thais, die Geliebte Alexander des Großen, will Persepolis in Brand stecken.

© Kulturstiftung Dessau-Wörlitz/Heinz Fräßdorf

Lady Hamilton in Wörlitz: Schönheit, die man selten sieht

Erotisches Lächeln, klassisches Profil: Eine Ausstellung in Wörlitz spürt dem Faszinosum der Lady Hamilton nach.

Ein „gefallenes“ Mädchen, so nannte man es einst, steigt auf zu einer europäischen Berühmtheit. Sie ist Engländerin, aber ihr Stern strahlt aus von Süditalien – und nun ist sie in einer Ausstellung zu entdecken, wie es bisher keine gab über diese junge Frau und das mit ihr verknüpfte Stück Weltgeistgeschichte.

Nicht nach London, nicht nach Neapel muss man reisen, um ihrem Künstler, Dichter, Potentaten und manch kluge Frau faszinierenden Wesen näherzukommen. Nur 100 Kilometer südlich von Berlin tut’s die Idylle des Gartenreichs Dessau-Wörlitz. Dort, im klassizistischen kleinen Schloss Wörlitz, lockt seit diesem Wochenende schon über dem Säulenportikus die Verheißung: „Lady Hamilton. Eros & Attitüde“. Im Untertitel geht es um „Schönheitskult und Antikenrezeption in der Goethezeit“. Vor allem aber geht es um jene Amy Lyon alias Emma Hart, aus der schließlich Lady Hamilton geworden ist.

Ihr folgen wir in die beiden Obergeschosse des Schlösschens, während die darunterliegenden Prunkräume der Fürsten Anhalt-Dessau – mit einem Rubens, Wedgwood-Keramik und pompejanisch inspirierten Wandmalereien – gerade restauriert werden. Zum amüsanten Empfang grüßen hier gleich im Stiegenhaus ein paar heutige Variationen. Der Hallenser Künstler Moritz Götze hat sich von Tischbeins ikonischem Porträt „Goethe in der Campagna“ inspirieren lassen und in Popart-Manier bunt schwebend ein Nachbild der jungen Hamilton in goethischer Pose über Zitate der römisch-italienischen Antike gelegt. Witzig ist auch ein Flipper aus den 1970ern, den Götze mit Kuriosa des Hamilton-Kults drapiert hat. Mit 20 Cent ist er zu bedienen und zeigt, die Lady ist nicht ganz von gestern.

Als Tochter eines Hufschmieds 1765 in Nordwestengland geboren, muss Amy Lyon nach dem frühen Tod ihres Vaters schon mit 13 Jahren den Lebensunterhalt selbst verdienen. Sie wird Kindermädchen bei einem Londoner Arzt, kaum 16 ist sie die Geliebte eines Adligen und schwanger, der Abstieg scheint unausweichlich, aber das auffallend hübsche Mädchen versucht, sein Schicksal auch selbst zu bestimmen. Als nunmehr feste Geliebte eines anderen Adligen bildet sie sich weiter, nimmt Musik- und Zeichenunterricht, steht und sitzt Malern wie George Romney Modell.

In Neapel wird sie Liebhaberin von Admiral Nelson

Sie nennt sich fortan Emma Hart, doch als ihr aristokratischer Freund Charles Greville sich eine wohlhabende Ehefrau sucht, muss Emma weichen. Der Mann bietet sie seinem verwitweten, wesentlich älteren Onkel William Hamilton an, dem später geadelten englischen Gesandten in Neapel, der Hauptstadt des „Königreichs beider Sizilien“.

Unter Vorwänden lässt Greville die 21-jährige Emma 1786 nach Neapel zum Onkel reisen, wo sie, ohne Mittel, nach England zurückzukehren, in der Falle sitzt, nach Widerständen zur Mätresse wird und fünf Jahre später zur Ehefrau und Lady avanciert. 1798, nach der Seeschlacht von Abukir, besucht Lord Nelson, Britanniens gefeierter Admiral, Hamilton in Neapel – und bald sind Emma und Nelson ein nun tatsächlich romantisches Liebespaar. Hamilton, mittlerweile mehr mit seinen Neigungen zur Antike, zu Ausgrabungen und Funden rund um Pompeji, Herculaneum oder Paestum sowie mit seinen Studien als renommierter Vulkanologe und Liebhaber des Vesuvs beschäftigt, willigt ein: in eine alsbald den Klatsch in Europas Salons befeuernde Ménage-à-trois.

Goethe freilich war in Neapel auf seiner italienischen Reise schon vorher bei den Hamiltons. Der gleichfalls an Geologie und vulkanischer Gesteinskunde, an antiker Kunst und lebenden Frauen interessierte Gast aus Weimar wurde im März 1787 Zeuge jener Aufführungen, die Emma Hart (damals noch nicht Lady Hamilton) durch Berichte und Abbildungen von George Romney, Joshua Reynolds, Tischbein oder Friedrich Rehberg schon einen ungeheuren Ruf eingebracht hatten. Emma, die bisweilen mit ihrem ausgebildeten Sopran auch sang, figurierte in Schleiern oder dünnen Gewändern in der „Rolle“ legendärer Frauengestalten, als Ariadne auf Naxos, als Cleopatra, als bacchantische oder das Tamburin schlagende Tänzerin nach antiken Vorbildern. Die Posen hießen „Attitüden“. Oder „Lebende Bilder“, ein Genre, das Goethe dann in Weimar populär machte.

Kleinod: Die nachgebaute „Villa Emma“.
Kleinod: Die nachgebaute „Villa Emma“.

© Kulturstiftung Dessau-Wörlitz/Heinz Fräßdorf

Sein Maler- und Reisefreund Johann Heinrich Wilhelm Tischbein nannte Emma „eine Schönheit, die man selten sieht und die schönste, die ich in meinem Leben gesehen habe“. So ähnlich schwärmten viele vom lächelnden, zu leichter Fülle neigenden It-Girl des späten 18. Jahrhunderts, dem damals meistillustrierten Idol. Auch die deutsche Malerin Angelica Kauffmann, zur Zeit Goethes in Italien, porträtierte Emma voller Begeisterung und womöglich Verklärung. Auffällig ist jedenfalls, dass Emma, deren klassisches Profil gerühmt wurde, mit ihrer oft etwas gesenkten Kopfhaltung auch an eine viel spätere Lady namens Diana denken lässt.

Goethe indes blieb ziemlich kühl, nannte „Miß Harte“ zwar „sehr schön und wohl gebaut“, hielt sie (die damals wohl erst Italienisch und Französisch lernte) in der vermutlich steifen Konversation für „ein geistloses Wesen“ – dem er in Gestalt der flatterhaften Luciane im „Wahlverwandtschaften“-Roman anspielungsweise ein eher ungnädiges Nachleben bescherte. Goethe war auch mit Hamilton von Mann zu Mann und Vulkanologe zu Vulkanologe nicht recht warm geworden und spöttelte mit Blick auf Emmas Auftritte in Hamiltons Haus: „Der alte Ritter hält das Licht dazu.“

In der Wörlitzer Ausstellung ist nun neben vielen einzeln oder im Zusammenklang in Deutschland noch nicht präsentierten Emma-Porträts, Briefen, Skulpturen, Vasen, Dokumenten auch jene goldumrandete Black Box nachgebaut, in der laut Goethes Beschreibung Emma als Lebendes Bild posiert hat. Eine geöffnete Camera obscura, eine Zauberkiste. Später, im Oktober 1800, besuchten Sir und Lady Hamilton zusammen mit Lord Nelson den schon 76-jährigen Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock in Hamburg, der Nelsons Sieg über die französische Flotte vor dem ägyptischen Abukir besungen hatte. Der greise Poet war von der Lady derart entzückt dass er sie zu seiner „Niobe“ und „Zauberin“ erklärte.

Es war das Jahr 1800, in dem Hamiltons Botschafterposten in Neapel endete. Auf der Heimreise via Hamburg nach London machte das Trio zuvor in Wien Station, wo Haydn flugs ein Loblied auf Nelson komponierte, das Emma zu Haydns eigenhändiger Klavierbegleitung vortragen durfte. Man besuchte auch Prag und Dresden, von wo das illustre Trio mit Gefolge elbabwärts gen Magdeburg weitersegelte. Am 14. Oktober 1800 machte man zum Frühstück unterwegs einen Halt bei Vockerode: am Rande des Wörlitzer Schloss- und Gartenreichs. Dieses hatte Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Dessau-Anhalt seit gut drei Jahrzehnten von seinem Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff nach Vorbildern aus England und Italien anlegen lassen. Der Fürst kannte auch Neapel, war mit Hamilton befreundet und ließ um eine künstliche Insel herum den Golf von Neapel nachahmen.

Ein Drittel der Ausstellung war bereits in Rom in der Casa di Goethe zu sehen

Aus Bergwerksschlacke entstand ein bengalisch zu beleuchtender Mini-Vesuv, dessen „Vulkanausbrüche“ bis heute eine Attraktion darstellen (das nächste Mal am 18./19. August); dazu die Imitation eines antiken Theaters und eine verkleinerte, aber erstaunlich exakte Nachbildung der roten „Villa Emma“, die Hamilton außer seinem neapolitanischen Stadtquartier, dem Palazzo Sessa, beim Posillipo-Hügel direkt am Meer besaß. Heute ist die originale Villa dort von Betonklötzen umbaut und im Verfall – dagegen strahlt die Wörlitzer Kopie als klassizistisches, wunderbar restauriertes Kleinod. Italien, plötzlich so nah!

Der Fürst und seine Brandenburger Gattin Louise waren beide Neapel-Fans, Louise bewunderte Emma und bedauerte nur deren Porträts, aber nie dem „Original“ begegnet zu sein. Auch Weimars Herzogin Anna Amalia, kurz nach Goethe auf ihrer „Grand Tour“ in Rom und Neapel, rühmte die damals noch unverheiratete Emma – obwohl eine solche „wilde Ehe“ in Weimar nicht geduldet wurde. Selbst Goethe musste, solange er seine Christiane Vulpius nicht geehelicht hatte, aus seinem Haus am Weimarer Frauenplan ausziehen.

Dieter Richter, dessen im Berliner Wagenbach Verlag erschienene Bücher über Neapel, Goethe und den mediterranen Süden nicht genug zu rühmen sind, hat die zuvor in Rom in der Casa di Goethe mit kaum einem Drittel der Objekte präsentierte Ausstellung zusammen mit dem Wörlitz-Experten Uwe Quilitzsch glänzend kuratiert. Was beide zu und von Emma, Anna Amalia, Tischbein oder über ein lange verschollenes klassizistisches Bilderkabinett in Weimar gefunden haben, spiegelt auch der zur Ausstellung erschienene, im Buchhandel bereits vergriffene, aber in Wörlitz noch erhältliche prächtige Katalogband „Lady Hamilton. Eros und Attitüde“.

Nach Hamiltons Tod 1803 verarmte Emma übrigens schnell, wurde verfemt und starb alkoholkrank 1815 im französischen Calais. Auch diese Geschichte wird dokumentiert: mit grimmig-sarkastischen englischen Karikaturen vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Bald aber begann ihr Nachruhm, doch meist nur in Trivialromanen, unechten Memoiren oder kitschnahen Filmen wie „Lord Nelsons letzte Liebe“ mit Vivien Leigh und Laurence Olivier – der im englischen Original freilich härter „That Hamilton Woman“ hieß. Welch eine Frau.

Ausstellung im Schloss Wörlitz bis 18. September, Di–So 10–18 Uhr, Eintritt mit Begleitheft 6 €, Katalogband 29, 95 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false