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Kultur: Lärmwand

Metaljazz: Panzerballett im Berliner A-Trane

Auf dem Papier sind sie eine Jazzband. Fünf Musiker aus München und Salzburg, die in Bundesjugendjazzorchestern gespielt, Jazzförderpreise abgeräumt und Konservatorien besucht haben. Doch auf der Bühne stehen riesige Marshall-Verstärker, der Schlagzeuger drischt hinter einem Plexiglas-Paravent auf Becken ein und die zwei Gitarristen werfen ihre Körper breitbeinig gegen eine wummernde Lärmwand, während ihre Finger rasende Stakkati spielen. Der eine, Martin Mayrhofer, trägt eine abgeschnittene Skater- Hose, die lange Mähne ist zum Zopf gebunden. Der andere, Jan Zehrfeld, verbirgt sein Haupt unter einer schwarzen Lederkappe, aus der medusenhaft Drahtfedern sprießen. Der Mund ist aufgerissen; ob er schreit, ist in dem infernalischen Getöse nicht zu hören.

Metaljazz heißt, was Panzerballett, das Quintett des diplomierten Jazzgitarristen Jan Zehrfeld, zu später Stunde mit der Wucht einer Stahlpresse ins Berliner A-Trane drücken. Zehrfeld hat seine Abschlussarbeit über die schwedische Hardcore-Kapelle Meshuggah geschrieben, auf deren Spuren er nun wandelt. Mit „Starke Stücke“ ist soeben das fulminante zweite Album der Band erschienen (in der Young-German-Jazz-Reihe von ACT). Man könnte auch Heavy Funk dazu sagen, denn die wuchtigen Quadratklänge des Hardrock geraten nur deshalb ins Rutschen, Gleiten und Swingen, weil die Rhythmusgruppe die Bindung an klare Metren löst. Der 24-jährige AusnahmeDrummer Sebastian Lanser und sein um ein Jahr älterer Kompagnon Heiko Jung am E-Bass knüppeln und grooven sich durch verschachtelte Beatlabyrinthe, dass es knallt. Immer wieder stolpert der Rhythmus über sich selbst, stürzt die Struktur in Abgründe, zerbricht.

„Verkrassen“ nennt der gebürtige Bayer Zehrfeld sein Kompositionsprinzip, nach dem er sowohl lieb gewonnene Jazzstandards wie Mancinis „Pink Panther“, Hancocks „Maiden Voyage“ oder „Birdland“ von Weather Report als auch Rockklassiker wie „Thunderstruck“ von AC/DC oder „Paranoid“ von Black Sabbath bis zur vollkommenen Unkenntlichkeit zerstückelt. Da werden die Melodien in dreifachem Tempo gespielt oder gehen gleich ganz unter, weil es eigentlich auch nicht wichtig ist, was der Song einmal war. So beschleichen einen trotz des mitreißenden, freudig-behämmerten Krachs leise Zweifel, ob es sich nicht um Ausmerzungsmusik handelt. Kontexte werden so rücksichtslos negiert und einem Soundkonzept geopfert, dass von dem Spektakel nur das Spektakel bleibt.

Vorläufer hat diese Musik in der New Yorker Avantgarde der späten achtziger Jahre, als John Zorns Naked City, Elliott Sharp oder Bill Laswell die Folterwerkzeuge des Hardcore-Jazz ausbreiteten: verzerrt-kreischende Sounds, Bassdrum-Gewitter, komplexe Breaks und noch komplexere Stil-Mixturen. Panzerballett strahlen im Rückgriff auf die dressierte Härte des Heavy Metal eine schrullige Gehemmtheit aus. Als dürften die Musiker nicht, wie sie wollten. Die Instrumente dieses Gniedel-Universums sind stumpf. Dabei macht es großen Spaß, Zehrfeld in die zerklüfteten, steroiden Riff-Gebirge zu folgen – und sich zu verlaufen. Kai Müller

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