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Kultur: Land ohne Staat

Jutta Bakonyi hat Somalias Wirtschaft und Gesellschaft vor Ort untersucht.

Aus Somalia kam in den vergangenen Wochen eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Dank einer überdurchschnittlichen Ernte ist die Hungersnot vorerst beendet. Nach Einschätzung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) bleiben aber hunderttausende Somalier weiterhin auf Unterstützung angewiesen. Daher warnen die Experten der FAO vor einem Nachlassen der internationalen Hilfsleistungen und einer massenhaften Rückkehr der Somalier, die vor der Hungersnot nach Äthiopien oder Kenia geflüchtet waren. Zu dieser Warnung kommt die schlechte Nachricht, dass Somalia sich zum neuen bevorzugten Reiseziel junger Islamisten aus Deutschland entwickelt. Fuhren zwischen 2008 und 2010 lediglich sechs Dschihad-Reisende aus der Bundesrepublik dorthin, waren es im vergangenen Jahr bereits zwölf und damit doppelt so viele wie ins Grenzgebiet von Afghanistan und Pakistan.

Wie geht es weiter mit Somalia? Werden die schlechten Nachrichten die Oberhand behalten? Oder gibt es Chancen für einen nachhaltigen Wandel in diesem „Land ohne Staat“, wie Jutta Bakonyi Somalia treffend charakterisiert? Die Magdeburger Politikwissenschaftlerin hat nicht nur die dortige Gesellschaft, sondern auch die Wirtschaft vor Ort untersucht – ein überaus mutiges Unterfangen in einem Land, in dem seit Jahrzehnten Krieg herrscht. Doch obwohl Somalia nach ihrem Urteil einen extremen Fall der Machtformierung jenseits des Staates darstellt, glaubt sie, dass auch dort der Wiederaufbau staatlicher Herrschaft möglich ist. Dies hätten die Stabilisierungserfolge in Somaliland und in Grenzen auch in Puntland gezeigt. Beide Regionen stabilisierten sich allerdings weitgehend ohne internationale Einmischung. Daher regt Bakonyi eine vergleichende Untersuchung von Somaliland, Puntland und der von Warlords beherrschten Gebiete im Süden an.

Für die Beurteilung der weiteren Entwicklung in Somalia dürfte Bakonyis Beobachtung wegweisend sein, dass dort in den vergangenen Jahren mit der internationalen Unterstützung für die in Kenia gebildete Übergangsregierung und die Übernahme zentraler Verwaltungsaufgaben durch das United Nations Development Programm (UNDP) und andere internationale Organisationen Versuche der internationalen Staatenbildung unternommen werden, die als eine neue Form globalen Regierens von Regionen, in denen der Staat schwächelt, interpretiert werden können. Ähnliche Operationen laufen auch im Kongo, in Bosnien und in Afghanistan – bislang jedoch nur mit begrenztem Erfolg.

Diese ernüchternden Erfahrungen schrecken Bakonyi allerdings nicht davor ab, die in Somalia beobachtbaren Prozesse der Machtbildung als jeweils lokale Ausformungen einer sich inzwischen über die ganze Welt erstreckenden Vergesellschaftung zu deuten. Hierzu hat sie insbesondere den Einfluss der Diaspora auf die Organisierung der Gewalt und den ökonomischen Wiederaufbau des Landes, die Rolle der internationalen Hilfe und der globalen Handels- und Finanzökonomie samt ihrer lokalen Ausprägungen untersucht. Bakonyis Befund: Somalia befinde sich zwar am Rande der Welt, aus der Weltgesellschaft entlassen sei das Land deshalb aber nicht.

Ende 2006 beendete Bakonyi ihre Forschungsaufenthalte im südlichen Somalia. Seither haben sich dort die politischen Entwicklungen mit dem Scheitern externer Staatsbildung und dem Aufstieg islamistischer Milizen rasant dynamisiert. Danach konnte auch Bakonyi keine Feldstudien mehr im südlichen Somalia betreiben. Die neue Phase intensivierter Gewalt und die radikale Umgestaltung lokaler Machtverhältnisse hat sie daher zwar nur aus der Ferne beobachten können, ihre Analyse macht aber erneut auf die Vermischung globaler und lokaler sozialer Prozesse im somalischen Kriegsgeschehen aufmerksam. So bezeichnet Bakonyi die al-Shabaab-Miliz als das späte und somalische Produkt einer sich seit den 70er Jahren globalisierenden radikalen Islambewegung. Die Verbindungen zu al Qaida, der zunehmende Einsatz ausländischer Dschihad-Kämpfer in Somalia, die längst über die somalische Diaspora hinausreichende Finanzierung der Bewegung und nicht zuletzt der zumindest von einer Fraktion der al Shabaab geforderte globale Dschihad verdeutlichen für Bakonyi die weltgesellschaftliche Einbindung der Organisation.

Trotz dieser globalen Einbindung bleibt die al Shabaab aber auch in Bakonyis Augen eine somalische Organisation, deren Bildung, Erfolge und Ausdehnung durch den Staatszerfall und das anhaltende Gewaltgeschehen erst ermöglicht wurden. Auch wenn die al Shabaab immer enger werdende Verbindungen ins Ausland unterhält, wird sie dennoch durch Somalier geführt. Und obgleich die Aufenthalte ausländischer Dschihad- Kämpfer in Somalia immer wieder für mediales Aufsehen sorgen, bilden sie innerhalb der auf 3000 bis 7000 Kombattanten geschätzten Miliz nur eine kleine Minderheit.

Die Zukunft der Bewegung ist auch für Bakonyi derzeit nicht absehbar. Für sie steht nur eines wirklich fest: Wie in anderen Konflikten der Gegenwart trägt auch dort hauptsächlich die Bevölkerung die Last eines Krieges, in dem sich alle Seiten, ob Warlords, Regierungen, Islamisten oder Klanmilizen, durch schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und eine menschenverachtende Gleichgültigkeit gegenüber der Situation der dort lebenden Menschen auszeichnen. Vor diesem Hintergrund könnte Bakonyi vielleicht tröstlich stimmen, dass die Friedenstruppe der Afrikanischen Union in jüngster Zeit bedeutende Erfolge im Kampf gegen al Shabaab erzielen konnte und zumindest die Hauptstadt Mogadischu wieder vollständig unter Kontrolle der AU-Truppen zu sein scheint – auch dies ist eine gute Nachricht aus einem Land, aus dem meist nur schlechte Nachrichten in die Medien gelangen.

Jutta Bakonyi:

Land ohne Staat.

Wirtschaft und Gesellschaft im Krieg am Beispiel Somalias. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2011. 396 Seiten, 39,90 Euro.

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