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Kultur: Leben mit Obsessionen

Über 1600 Werke hat der Hamburger Unternehmer Harald Falckenberg in zehn Jahren gesammelt

Die Eröffnungsparty muss ein voller Erfolg gewesen sein. Viel überregionales Kunst-Volk war angereist, auch einige Ex-Kommunarden aus Österreich, um in Hamburg den 80. Geburtstag des Wiener Skandalkünstlers Otto Mühl zu feiern. Zu später Stunde taute auch Mühl auf, erhob sich aus dem Rollstuhl und tanzte. Und Harald Falckenberg hatte seinen Spaß.

Partys feiern, das versteht Harald Falckenberg, auch wenn er sich beim Interview eher nüchtern gibt: kein Alkohol, lieber Apfelsaft. Exzessiv ist der joviale Hamburger Jurist und Unternehmer in anderer Hinsicht: ein Kunstsammler, der die Kunst geradezu inhaliert. Einer, der sich besoffen reden kann an der eigenen Begeisterung, und seine Gesprächspartner gleich mit, und der trotzdem druckreif analytisch formuliert. Ein scharfer Kritiker der Sammlerkollegen und des heutigen Kunstmarkts, den er als krank und überheizt beschreibt. Er sei ein Bauchsammler, ein impulsiver, lustgetriebener Sammler, sagt seine Mitarbeiterin über ihn. Falckenberg, der über assyrisches Erbrecht promovierte, gibt sich dagegen selbst lieber kopfgesteuert: Eine besondere Liebe zur Kunst oder gar zu den Künstlern empfinde er nicht. Kunst müsse irritieren, stören, reizen: Das sei sein Sammlungs-Kriterium.

Das trifft auf den Wiener Aktionisten Otto Mühl garantiert zu. Als die Retrospektive im vergangenen Jahr in Wien gezeigt werden sollte, kam es zu einem Eklat. Dass da ein Künstler, der wegen Kindesmissbrauch sieben Jahre lang im Gefängnis saß, mit einer Würdigung seines Lebenswerks geehrt wurde, ging vielen Österreichern zu weit. Falckenberg, der die Ausstellung nun in leicht veränderter Form in seinen Räumen in den ehemaligen Phoenix-Werken in Hamburg-Harburg zeigt, verteidigt die Wahl: Er zeige die Arbeiten aus der Zeit vor der Kommune. Danach habe Mühl selbst entschieden: Ich bin kein Künstler mehr. Und mit dem Künstler zu diskutieren – das gehe schon lange nicht mehr.

Sprechen sollen dagegen Mühls Arbeiten selbst. Und zum Sprechen bringen. Denn provozieren können die Aktionen, die in Hamburg in einer bislang nie gesehenen Anzahl von Filmen dokumentiert werden, auch heute noch. Körper, die sich in Farbe, Leim und Schleim wälzen, eine Gans, der der Hals durchgeschnitten wird, wilde Sexszenen, Frauen, die gefesselt und missbraucht werden, Orgien in Blut und Kot. Der Zorn, die Anarchie, das Widerständige an den Aktionen, hat Falckenberg fasziniert. Es findet in vielen Arbeiten seiner Sammlung, von Paul McCarthy über Richard Prince bis Jonathan Meese, ein spätes Echo.

„Ziviler Ungehorsam“ ist das Motto, das den Juristen Falckenberg besonders reizt. Kunst, die möglichst wenig konform ist, provokativ, derb, humorvoll, oft auch pubertär. Kunst, die nicht repräsentieren will, sondern ihre Komplexe und Proteste hinausträgt in die Öffentlichkeit. Paul McCarthys Affen mit entblößtem Penis, Jonathan Meeses Balthys-Hommage, die Snuff-Bilder von Bjarne Melgaard, ein WachsfigurenChe-Guevara von Gavin Turk und ein Sex-Würfel von Sarah Lucas. Freud und die Psychoanalyse sind für Falckenberg der Quantensprung zur modernen Kunst. Auch Mühls Obsession erklärt er sich auf diese Weise: Mühl, das sei einer, der keine Kindheit gehabt habe und infantil geblieben sei, sein Leben lang.

Wer so denkt, landet irgendwann unweigerlich bei Martin Kippenberger. Auch für Falckenberg war Kippenberger die Initialzündung. Zwar habe er vor zehn Jahren ganz klassisch angefangen, mit Pop-Art von Warhol bis Polke, erzählt der Sammler. Doch schon nach einem Jahr war klar: Auf dem Gebiet ist nichts mehr zu holen. Die Freundschaft zu dem Maler Werner Büttner hat die Kölner Gruppe für Falckenberg erschlossen. Die ersten Werke von Kippenberger hat er gekauft, um dem finanzklammen Büttner zu helfen – aus heutiger Perspektive ein Bombendeal. Kippenberger, Oehlen, Herold und Büttner sind auch heute noch starke Positionen in der Sammlung, später kamen jüngere Künstler wie Franz Ackermann, John Bock, Jonathan Meese, Michel Majerus und Thomas Hirschhorn hinzu. Und dazu amerikanische Provokateure wie Paul McCarthy, Mike Kelley, Richard Prince und John Baldessari.

Mit Faszination, Spaß an Widerstand und Provokation begann es: ein Gegengewicht zur Alltagswelt. Kenntnis und Durchblick kamen erst nach und nach. Wunderbar kann Falckenberg erzählen, wie er 1994 als Schatzmeister in den Vorstand des Hamburger Kunstvereins berufen wurde. Stephan Schmidt-Wulffen, der damalige Leiter, habe in jeder Sitzung mindestens fünfzig Künstlernamen genannt, und er, Falckenberg, kannte keinen einzigen davon. Irgendwann, nach fünf Jahren, wusste er fünf Namen, die Schmidt-Wulffen nicht kannte: „Das war das Ende meiner Lehrzeit.“

Längst ist Falckenberg einer der wichtigen Sammler der Republik, zeigt seine Schätze in Leipzig, Kopenhagen oder Paris. In Hamburg blieb die Sammlung zunächst ein Geheimtipp: Ein malerisches Fachwerkhaus am Hamburger Flughafen diente als Domizil, das irgendwann wie ein Merzbau bis in die letzte Ecke mit Kunst gefüllt war. Ein „Anti-Museum“ hat der Kunsthistoriker Ulrich Schneede das Gesamtkunstwerk einmal genannt. Die Kunstwerke hätten sich eingenistet und nicht mehr weichen wollen, erinnert auch Falckenberg nicht ohne Nostalgie. Das wurde irgendwann zum Problem. Denn wer eine Meese-, Bock- oder Hirschhorn-Installation ins Haus holt, weiß, ihm bleibt nicht mehr viel Platz.

In den Phoenix-Hallen in Hamburg-Harburg ist die Präsentation hingegen museumsreif: Hier, wo ehemals Gummireifen produziert wurden, dehnen sich endlose Hallen, in denen sich selbst Meese und Hirschhorn in Ecken verkriechen. Seit 2001 bespielt Falckenberg zwei Etagen des Gründerzeit-Baus, eine Halle für Wechselausstellungen, eine für die ständige Sammlung. Über 1600 Werke zählen dazu, noch stehen im Lager die nicht ausgepackten und katalogisierten Arbeiten. Eine Mischung aus begehbarem Depot und Kunsthalle, mit Schiebelagern, an denen die Bilder alphabetisch geordnet hängen, der Besucher zieht sie sich nach Bedarf heraus. Der Eintritt ist frei, auf Anmeldung kann jeder kommen, wann er will. Das soll auch in Zukunft so bleiben, wenn Falckenberg die Sammlung irgendwann mit einer privaten Stiftung sichern will. Sie einem Museum leihweise überlassen, das lehnt er ab: entweder schenken oder behalten, ist seine Devise. Die implizite Kritik an anderen Sammlern wie Friedrich Christian Flick in Berlin ist nicht zu überhören.

Christina Tilmann

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