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Kultur: Lebenslänglich

Frank Castorf bleibt bis 2010 an der Volksbühne

Die Jüngeren werden sich schon nicht mehr an die Zeit erinnern, als Frank Castorf die Volksbühne übernahm. Anno 1992 war’s: Bonn war noch Hauptstadt, Angela Merkel diente als Ministerin für Frauen und Jugend unter Helmut Kohl, und im Theaterbunker am Rosa-Luxemburg-Platz waren die Lichter dermaßen ausgegangen, dass nur der verrückteste Sanierungsweg gangbar schien. Berlins Kultursenator hieß Roloff-Momin, sein Berater Ivan Nagel, und unter dem längst klassischen Motto „In drei Jahren berühmt oder tot“ komplimentierte man einen widerstrebenden Regisseur aus dem Osten, der auch im Westen schon einige Fässer aufgemacht hatte, auf den Intendantenstuhl – eine neue Theaterära begann.

Und sie ist noch nicht zu Ende. Am Wochenende hat sich Castorfs Vertrag um weitere drei Jahre bis 2010 automatisch verlängert. Berlins jetzt schon dienstältester Theaterleiter und Kultursenator Thomas Flierl ließen eine entsprechende Erklärungsfrist verstreichen. Vom Anarchisten zum Patriarchen: Castorfs jüngste Regietat, eine Adaption von Dostojewskis „Schuld und Sühne“, wird im Herbst in Berlin zu sehen sein; die sechsstündige Uraufführung war im Mai bei den Wiener Festwochen. Das passt: Immer wieder hat Castorf die Volksbühne auch als Belastung empfunden, nach all den Jahren, in denen sich Triumphe und Torturen mischten. Christoph Marthaler und Christoph Schlingensief, beide nun auch schon Bayreuther Hügelstürmer, wurden an der Volksbühne zur Legende. Wie Castorf selbst: Sein Ensemble, nach wie vor phänomenal, spielt an der Grenze der Belastbarkeit, in Berlin und auf Reisen rund um den Globus, die Suche nach robusten Hausregisseuren bleibt heikel.

Die Volksbühne war immer Krise, zuletzt nicht sonderlich kreativ. Doch Castorf hält die Stellung, Merkel mag kommen. Schöne Ironie der Geschichte: Vom Osten lernen heißt siegen lernen. Wäre die Volksbühne an der Börse notiert, die Aktien würden jetzt, nach Castorfs praktisch lebenslänglicher Agenda 2010, ins Bodenlose steigen.

Rüdiger Schaper

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