zum Hauptinhalt

Kultur: Leere Strände, menschenleere Filme

Erste Eindrücke vom zwölftägigen Spektakel, das vorgestern mit Roland Joffés Kostümfilm "Vatel" eröffnet wurdeJan Schulz-Ojala Cannes beginnt dieses Jahr merkwürdig, um nicht zu sagen: absonderlich. Schon das Wetter - nun ja, dafür kann Festivalchef Gilles Jacob nichts, aber wenn es sich so grau und regenwahrscheinlich anlässt, dann drückt das auf die Stimmung.

Erste Eindrücke vom zwölftägigen Spektakel, das vorgestern mit Roland Joffés Kostümfilm "Vatel" eröffnet wurdeJan Schulz-Ojala

Cannes beginnt dieses Jahr merkwürdig, um nicht zu sagen: absonderlich. Schon das Wetter - nun ja, dafür kann Festivalchef Gilles Jacob nichts, aber wenn es sich so grau und regenwahrscheinlich anlässt, dann drückt das auf die Stimmung. Aber auch der Eröffnungsfilm, ein pompöses Teil, hergestellt für 250 Millionen Francs, wirkt so glattgewaschen wie die Straßen von Cannes, so glattgeharkt wie der Stadtstrand vor den Luxushotels - und ebenso leer.

Nicht, dass in "Vatel", Roland Joffés erstem Cannes-Beitrag nach seinem Palmen-Sieger "The Mission" von 1986, keine Menschen vorkommen. Aber die Figuren in diesem Kostümschinken aus der Zeit Ludwigs des Vierzehnten wirken nur wie Zugaben zu einem Ausstattungsstück, sind selbst nichts weiter als production values - und haben so wenig zu sagen wie die Story selbst und ihre bombastischen Bilder. Gérard Depardieu läuft darin, als Oberhofkoch und Zeremonienmeister eines Provinzprinzen (Julian Glover), eher griesgrämig herum, ein Stolperer durch den - falschen - Film. Gut, es geht um Arbeit, um die Perspektive von unten auf die Protzerei des Absolutismus. Da mag ein wenig Bürgerverdrossenheit vor Königsthronen rollentauglich sein. Aber Trotz vor den Mächtigen, wären eben doch mehr als bloß jene schlechte Laune, die Depardieus Vatel an den Tag legt.

Dieses Dreitagefest im Schloss des Prinzen von Condé, der sich damit beim König als Feldherr gegen Holland zu empfehlen sucht, lässt sich mit nur wenig Phantasie als sonderbare Satire auf ein anderes Fest lesen: das Zwölf-Tage-Ereignis von Cannes selbst. Danach wäre Vatel, der Ackerer und Rackerer hinter den Kulissen, niemand anderer als das Alter Ego von Gilles Jacob. Sein Prinz in hohen Jahren: der 75-jährige Festivalpräsident Pierre Viot, der seinen Stuhl Anfang Juni für den nur fünf Jahre Jüngeren räumt. Und der König, dem die Brot-und-Spiele-Inszenierung schließlich gefallen soll? Nun ja, da denkt man an den sozialistischen Ministerpräsidenten Pierre Jospin, oberster Ehrengast der Eröffnungfestivitäten. Tatsächlich ging es nach der Gala-Premiere durch ein dem Sonnenkönig nachempfundenes, in den Festivalbunker hineingezimmertes Schlossfoyer zum Diner in die "Salle des Ambassadeurs", weshalb die Lakaien des Festivals, die Journalisten, abenteuerliche Umwege in Kauf nehmen mussten.

Was tut man nicht alles, um seinem König zu gefallen? Dem obersten Mäzen der Filmkunst, der als segnende öfffentliche Hand die Hälfte des Festival-Etats von 40 Millionen Francs beisteuert - und dem hochverehrten Publikum, das sich in erster Linie unterhalten will? Letztes Jahr hatte Cannes, mit dem "Barbier von Sibirien", ähnlich opernhaft begonnen, die Jury aber in die Hände des unberechenbaren David Cronenberg gegeben, dessen Gremium dann zwei karge, große Außenseiterfilme prämierte. Der Protest war groß. Diesmal ist Publikumsliebling Luc Besson Jury-Präsident - und die auf Blockbuster und Box-Office fixierte Fachpresse deutete das erleichtert als gutes Omen.

Andererseits: Schon irgendwie gut, dass "Vatel" außer Konkurrenz läuft. Sonst müsste die Jury vielleicht doch darüber nachdenken, dass der Film in Englisch gedreht und französisch synchronisiert wurde. Nicht nur, weil Depardieu ein drolliges Englisch spricht (und deshalb überwiegend als sensibler Zuhörer auftritt), sondern weil - äußerst absonderlich - der Set französischer nicht sein könnte. Man stelle sich vor: Ein Schlöndorff-Biopic über Friedrich den Großen zur Berlinale-Eröffnung - nicht auf Französisch, sondern mit Blick auf den Weltmarkt auf, sagen wir, Texanisch? Ein solches Projekt wäre wohl nicht einmal im neuerdings eisern auf Rentabilität fixierten Studio Babelsberg durchzusetzen.

Doch des Eigentümlichen nicht genug. Auch der erste echte Wettbewerbsfilm, Ken Loachs "Bread and Roses", inhaltlich ebenso uninspiert geraten, lässt sich als hintersinniger Kommentar lesen - diesmal auf den gerade erst selbst inszenierten Pomp. Wieder nimmt ein Film die Backstage-Perspektive ein; anders aber als bei den Luxuskonflikten am Fürstenhof - Depardieus Vatel wählt nach dem Abenteuer mit einer Mätresse (herzallerliebst: Uma Thurman) heldenhaft den Freitod - fegen die Diener ihre Herren einfach hinweg. Genauer: das aus teils illegalen Latino-Einwanderern bestehende Putz-Syndikat in Los Angeles, das nachts den Anwälten, Spekulanten und Studiobossen die Zimmerpflanzen abstaubt. Das ist das wahre Leben, sagt uns dieser Film - und tatsächlich, die ersten Minuten, in denen die Einschleusung von Mexikanern über die grüne Grenze in die USA mit der Handkamera gefilmt ist, machen den Rest des von "Vatel" angerichteten Bilder-Völle-Übelseins virtuos vergessen.

Dann aber obsiegt jenes Gutmenschen-Kino, welches das altlinke Bewusstsein stets für schutzwürdig erklärt; das eher neoliberale Sein aber hat wenig Verständnis für eine hochsubventionierte political correctness, die womöglich im Kino kaum jemand sehen will. Nicht wegen des Themas - doch der Aufstand der Putzkolonnen, ihr Demonstrieren für "Bread and Roses" ist nervtötend naiv und propagandistisch in Szene gesetzt - mit Ausnahme weniger großartiger, wie von fern in diesen Film gefallenen Frauen-Szenen.

Am Ende lässt Loach seine Leute durch das sonnige Los Angeles marschieren. Hasta la victoria siempre! Aber er hat die ansonsten menschenleeren Straßen nicht mit lebendigen Figuren bevölkert. Sein Film bleibt so grau wie die Promenade de la Croisette im wunderschönen Monat Mai.Mehr zum Thema unter

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false