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Kultur: Leitern und Anträge

Eindrücke vom Berliner CDU-Parteitag / Von Moritz Rinke

Um zum Landesparteitag der Berliner CDU zu gelangen, muss man den Lift nehmen ins 2. Stockwerk des PalaceHotels, und das ist gar nicht so einfach, wenn da ungefähr dreihundert Delegierte stehen. Es ist ziemlich eng im Lift und riecht nach Deo und Herren am Morgen. Jemand sagt: „Es muss mit Deutschland wieder aufwärts gehen, Herr Bornschein, drücken Sie mal bitte auf 2“. Herr Bornschein sagt „Wie denn?“, presst einem seinen Parteitagsordner auf die Brust und versucht, aus der Hüfte auf 2 zu drücken.

Oben gibt es einen Bierausschank, Würstchen, Tische der Berliner Kreisverbände. Gerade kommt Frank Steffel, der frühere Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidat. Er ist braun gebrannt, schüttelt lächelnd Hände, ohne die Gesichter anzuschauen, läuft in den großen Sitzungssaal und schüttelt weiter. Von 10 Uhr bis 10 Uhr 15 werden überhaupt nur Hände geschüttelt. Viele Delegierte gehen an den Tischreihen vorbei und schütteln, ohne hinzusehen, wie Steffel. Ich selbst sitze am Übergang des Kreisverbands Spandau zum Pressebereich, und so kommt es, dass ich von den Spandau-Delegierten auch geschüttelt werde. Frau Billerberg geht mit einer Handtasche umher und sagt zu jedem „Frühstück!“, man greift hinein, und dann sitzt der ganze Kreisverband Spandau da und beißt in Croissants, während der Generalsekretär, Gerhard Lawrentz, den 26. Parteitag eröffnet.

Er steht am Rednerpult vor einer blauen Kulisse mit Brandenburger Tor und der Schrift „CDU Berlin – Dienstleister für Deutschland“ und verkündet die Tagesordnung. Um ihn herum sitzt das Präsidium. In erster Reihe eine Frau in einem interessanten Pullover mit einem Kuckuck drauf, sie lächelt und wirkt lustvoll mit ihren curacaofarbenen Lidschatten, die eine Leuchtkraft haben bis in den Verband Spandau. Daneben sitzt ein Mann mit einem feinen Bart, der sich um die Mundwinkel herum nach unten biegt und ein Hufeisen bildet. Er trägt wie sein Generalsekretär kaum Haare, dafür aber eine Brille, die er beim Zeitungsblättern nach vorne schiebt. Neben ihm sitzt Ingo Schmitt, der Schatzmeister der CDU, der, wie der Generalsekretär sagt, „immer für uns zwischen Charlottenburg und Brüssel unterwegs ist, nicht wahr, Ingo?“, aber Ingo blättert jetzt auch in Zeitungen. Das ist wirklich irritierend. Der Parteitag hat gerade erst begonnen, aber oben im erhöhten Präsidium blättern sie schon Zeitungen. Der Generalsekretär verliest mittlerweile getragen die Namen der Verstorbenen und bedauert „100 Mitglieder, die uns seit dem letzten Parteitag im Mai verlassen haben.“ Mein Gott, wenn das so weitergeht ist, dann ist ja bald die ganze CDU weg?

Joachim Zeller, der Parteivorsitzende, ist allerdings noch etwas jünger. Er sieht gut aus, so eine Mischung aus Marcel Reif von Premiere und Mario Adorf in „Der große Bellheim“. Als Zeller aufsteht und den „Bericht des Landesvorsitzenden“ hält, erfährt man allerdings nichts über die CDU. Von 10 Uhr 20 bis Mittag wird nur über die SPD gesprochen. Von Strieder und dem Tempodrom, von Wowereit und seinen Partys, von Inkompetenz und Korruption. Später steht ein junger Mann im Konfirmandenanzug am Pult und ruft: „Die richten unsere Stadt zugrunde!“, was ja sein mag, aber in seiner sich überschlagenden Stimme klingt es, als wolle man den BMW seines Vaters anzünden.

Mittlerweile ist Eberhard Diepgen eingetroffen, um sich zum Ehrenvorsitzenden wählen zu lassen. Er setzt sich in die hinteren Reihen und hört noch dem jungen Mann zu im Konfirmandenanzug, der Fraktionschef ist. Was muss das merkwürdig sein, nachdem man 18 Jahre diese Partei darstellte, nun von hinten nach vorne zu gucken. Und vielleicht zu sehen, dass man in 18 Jahren Machterhalt keinen politischen Erben herangezogen hat?

Um 13 Uhr ist Diepgen zum Ehrenvorsitzenden gewählt, geht nach vorne, hält eine auratische Rede mit prosaischen Visionen von einem Ausbau der U7 und U5, Hertha und dem Bundespresseball im Berliner Stadtschloss. Dann geht er nach Hause, und der Parteitag kommt zum Tagesordnungspunkt „Das Impulsreferat“. Das Impulsreferat wird gehalten von Prof. Rupert Scholz. Es geht um eine Hauptstadtphilosophie und die Frage, wie die Hauptstadt auch geistiges Zentrum werden könnte wie Paris, Rom oder London. „Kräuterbonbons?“ fragt Frau Billerberg, die mal wieder mit ihrer Tasche durch die Fraktionsreihen geht, ich sage: „Danke, ich gehöre eigentlich gar nicht zum Kreisverband Spandau.“ Ich drehe mich um und sehe über Neukölln bis Tempelhof. Hinter mir sitzt einer und lernt Steuerrecht, er will „Steuerfachangestellter“ werden und lernt für die Prüfung; ein Delegierter eine Reihe weiter hat Senf auf seiner Donald-Duck-Krawatte und putzt an ihr herum. Neben mir sitzt einer und sucht im Gebrauchtwagenteil der „Mopo" ein Auto. Ich frage: „Sie wissen schon, dass da vorne gerade das Impulsreferat läuft?“, er lächelt und schlägt eine Seite mit einem Vorbericht vom Boxen auf.

Vermutlich verstehe ich Parteitage nicht. Vorne im erhöhten Präsidium ist der Mann mit dem Hufeisenbart vollends zur Lektüre übergegangen und sitzt da wie Graf Koks von der Gasanstalt. Ingo, also der Schatzmeister, starrt auf den Tisch und ist wahrscheinlich gerade zwischen Charlottenburg und Brüssel, und der Parteivorsitzende mit Generalsekretär und Fraktionschef sitzen da wie „Die drei von der Sparkasse“ nach Dienstschluß, während sich Prof. Scholz mit dem „Polizentrismus“ und der „schöpferischen Innovationskraft“ abmüht und gegen den murmelden, völlig gegenläufigen Saal ankämpft wie gegen einen Wasserrohrbruch.

Ich habe jetzt wirklich Panik. Panik, dass es auf Bundesebene ähnlich aussehen könnte und es einem vielleicht nur noch nicht aufgefallen ist, weil da dann immer mehr Kameras sind. Panik, dass alle Parteitage so sind; dass es bei der SPD genauso zu- geht wie bei der CDU oder FDP und dass man seine gesellschaftliche Verantwortung in die Gestaltungskraft von Parteien delegiert hat, in der nichts mehr nachgewachsen ist an Energie, Lebendigkeit, Fantasie und Wachheit und in der die Alten mittlerweile ausgetrocknet und weggestorben sind oder sich mit Kräuterbonbons oder Senf auf unmöglichen Krawatten beschäftigen.

Den Konflikt, den es in dieser Landespartei als Form von Lebendigkeit geben soll, konnte man nur ahnen. Die Antragskommission „Wir bringen das Neue Berlin voran“, zusammengesetzt aus Antragstellern wie Monika Grütters oder Peter Kurth, die auch für eine Stärkung der einzelnen Mitglieder plädierten, konnte sich gegen die Bademeister der Partei nicht durchsetzen. In dieser CDU wird nicht vom Beckenrand gesprungen. Immer dann, wenn es in der Partei um den Widerspruch zwischen „Kiez" und „Hauptstadtpolitik“ ging, sah der Landesvorsitzende angestrengt lächelnd auf den Tisch. Das muss er nicht.

Mit dieser Darbietung des 26. Parteitags ist klar, dass auch die CDU definitiv in Sachen Kiez auf Kurs ist und Prof. Scholz seine metropolitane Hauptstadtpolitik besser in Utopie-Seminaren vorträgt. Die einzige Internationalität dieser Veranstaltung waren die pseudochinesischen Deckenlampen des Palace-Hotels, und was irgendwie annähernd nach Veränderung aussah, war ein Baugerüst, das außen am Sitzungssaal angebracht war. Man konnte eine Leiter sehen, die einfach dastand. Ich habe lange diese Leiter angeschaut. Dass man sich in einem Raum mit dreihundert Menschen so sehr nach einer Leiter sehnt, die ja eigentlich nur ein paar Stufen nach oben führt – das ist nicht gut für Berlin und Deutschland.

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