zum Hauptinhalt

LESESTOFF: LESESTOFF

Mittelweg 36:Stuttgart 21. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Ausgabe Juni/Juli, Hamburg 2011.

Mittelweg 36:

Stuttgart 21. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Ausgabe Juni/Juli, Hamburg 2011. 104 Seiten 9,50 Euro.

Der „Wutbürger“, der sich ausgerechnet im strukturkonservativen Stuttgart gezeigt und eine jahrzehntelange Parteienherrschaft hinweggefegt hat, ist von der Bühne, scheint es, bereits wieder abgetreten. Doch das Nachbeben seines Auftritts hat die Sozialwissenschaften erreicht. Die Zeitschrift „Mittelweg 36“ widmet ihr Sommerheft dem Thema Stuttgart 21. Und siehe da, über das naheliegende Frohlocken über die Rückkehr eines bereits stillgestellten politischen Diskurses hinaus bereitet der Wutbürger begriffliche Probleme. Um wen handelt es sich überhaupt? Wolfgang Kraushaar referiert die bekannten Stichprobenerhebungen, aus denen sich schlussfolgern lässt, „in den Protestierenden vor allem die Repräsentanten der im Gefolge der 68er-Bewegung entstandenen links-alternativen Milieus zu sehen, die … nun fast nur noch grün wählen“. In der Rückschau zeigt sich allerdings, „dass Effizienz als Leitvokabel aller Streitenden fungierte“, wie Aaron Sahr und Philipp Staab in ihrem Beitrag feststellen. Drei Typen teilnehmender Personen unterscheiden sie, den „Expertenbürger“ – der alle Fahr- und Gleispläne argwöhnisch nachrechnet –, den „Bindungsbürger“ – für den „Ankommen und Wegfahren und Abschiednehmen wichtige Lebensereignisse“ sind und schließlich den „Versuchsbürger“, der sich Varianten des legitimierenden Verfahrens gegenüber offen zeigt. Da kommt dann auch der Juchtenkäfer ins Spiel, der nach eigener Stimme verlangt. Der Entscheidungsprozess wird unübersichtlich. Bemerkenswert, dass die Autoren mit Tocqueville vor der „Tyrannei der Mehrheit“ warnen, sollte die Zivilisierung des Konflikts nicht gelingen. Ob die Mehrheit überhaupt bestimmen will, bleibt nach der Lektüre von Ulrich Bielefelds Beitrag offen. Er ist „Der Auftritt des Volkes auf der leer geräumten Bühne“ überschrieben, womit fast alles gesagt ist: „,Das Volk’ besteht nicht mehr nur aus aktivistischen Bürgern, sondern aus emanzipierten Zuschauern, die notwendiger und unverzichtbarer Bestandteil des Ganzen sind: Die Leute sind Teil der Rückkehr des Politischen.“ Es kehrt, möchte man hinzufügen, immer wieder einmal zurück. Bernhard Schulz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false