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Klaus Schroeder:Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR 1949– 1990.

Von Matthias Schlegel

Klaus Schroeder:

Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR 1949– 1990. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2013. 1134 Seiten, 99 Euro.

Es ist eine vollständig überarbeitete, erweiterte Neuausgabe des 1997 erschienenen Bandes, aber in einem ist sich Klaus Schroeder treu geblieben: in der Charakterisierung der DDR als ein „(spät)totalitärer Versorgungs- und Überwachungsstaat“. Mehr noch als in der Erstausgabe ist Schroeder bemüht, mithilfe der geballten empirischen Potenz des von ihm geleiteten Forschungsverbundes SED-Staat an der FU einer von ihm beklagten nostalgischen Verklärung der DDR entgegenzuwirken, die – „je länger die Teilung zurückliegt“ – „den diktatorischen Charakter der DDR und seine negativen Dimensionen gerade auch im alltäglichen Leben infrage stellt oder ausblendet, wenn nicht sogar leugnet“. Dabei werde die „totalitäre, da besitzergreifende Überformung des Lebens“ weitgehend ignoriert. Auf 1134 Seiten breitet das Werk die Entwicklung und die Strukturen des SED-Staates aus. Mit diesen Begriffen sind auch die ersten beiden Hauptkapitel überschrieben, woraus sich notwendigerweise einige Überschneidungen ergeben. Das schmälert freilich in keiner Weise das Gesamtverdienst des Bandes als ein kluges, umfassendes, ungemein faktenreiches Kompendium zum Gesellschaftsmodell dieses Staates.

Der neue Band ist sinnvoller geordnet, indem den beiden Eingangskapiteln zu Entwicklung und Strukturen der DDR die neuen Kapitel „Die Abhängigkeit von der Sowjetunion und das innerdeutsche Verhältnis“ sowie „Die Einordnung der DDR“ beigefügt sind. Damit wird nicht nur anstelle des alten, sehr allgemein formulierten Kapitels „Determinanten und Entwicklungslinien der DDR-Geschichte“ eine wesentlich präzisere Betrachtungsweise eingeführt. Es wird von dem Autor zugleich die Chance genutzt, eine Gesamtschau des DDR-Bildes in der Wissenschaft zu vermitteln. Neu aufgenommen wurden auch Darstellungen zu Amtsmissbrauch und Korruption, zur Außen-, Kultur- und Umweltpolitik und zu Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit in der DDR. Breiten Raum nimmt auch die Beschreibung der Sportpolitik ein. Hinzugefügt wurden Kurzbiografien der wichtigsten politischen Protagonisten aus 40 Jahren SED-Staat.

So sehr immer wieder dazu aufgefordert wird, dass sich Ost und West ihre Geschichte(n) erzählen, damit dieses Land weiter zusammenwächst – Schroeder macht aus seinen Vorbehalten gegenüber der Zeitzeugenschaft keinen Hehl: Zwar beklagt er, dass die Unkenntnis über die realen Verhältnisse in der DDR noch immer groß sei, doch „allein auf die Schilderungen von Zeitzeugen kann und darf sich eine zeitgeschichtliche Betrachtung nicht stützen“. Und er rechnet mit jenen Zeithistorikern ab, die die Beschreibung der DDR als sozialistische oder gar totalitäre Diktatur deshalb ablehnen, weil sich die ostdeutsche Bevölkerung darin nicht wiedererkenne. Nach Ansicht Schroeders wird aber gerade bei der Betrachtung des Alltagslebens „der aus dem totalitären Charakter des Systems resultierende hypertrophe Machtanspruch der SED überdeutlich, der die Bürger zu einem ständigen quasi-schizophrenen Pendeln zwischen Anpassung und Resistenz zwang“.

Wer sich tiefer und zusammenhängender mit dem „Funktionieren“ dieses Staates und seiner Bewohner auseinandersetzen mag, kommt an diesem Werk kaum vorbei. Matthias Schlegel

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