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Jane_Birkin

© Davids/Passig

Lesung: Liebe und Luftwesen

Totenfeier der leichten Art: ein Erinnerungsabend mit Jane Birkin. Sie setzt ihrem Neffen Anno ein Denkmal, der trotz seines frühen Todes über tausend Gedichte schrieb - hellsichtig, sensibel und gütig.

Ein Requiem, ein doppeltes Requiem, geflüstert, gehaucht, gelesen, gesungen. „Promise me, you won’t forget my name“, versprich mir, dass du mich nicht vergisst, wünschte sich der 18-jährige Anno Birkin in seinem Gedicht „Tomorrow saps my strength before she dawns.“ Jane Birkin löst das Versprechen ein.

Anno Birkin, der Sohn von Jane Birkins Bruder, dem Schriftsteller Andrew Birkin, starb 2001 im Alter von 20 Jahren bei einem Autounfall. Serge Gainsbourg, Jane Birkins langjähriger Lebensgefährte, starb zehn Jahre früher, am 2. März 1991. Ihnen beiden, beide leidenschaftliche Gitanes-Raucher, beide Songdichter, hat die Schauspielerin nun zum Abschluss des Berliner Literaturfestivals ein Denkmal gesetzt: eine Totenfeier der leichten Art. Sie habe extra hellere, fröhlichere Texte von Serge Gainsbourg ausgewählt, erzählt Jane Birkin zu Beginn, auch wenn ihr persönlich die traurigen mehr lägen. Aber die Kombination mit den Gedichten ihres Neffen stimme so einfach besser: Anno sei als Heranwachsender so chevaleresk, so romantisch gewesen – und auch Gainsbourg sei im Herzen immer ein Heranwachsender geblieben.

Das kleine Mädchen Jane Birkin

Das sagt die Richtige. Wie sie da sitzt, in olivgrüner Hose, grauem T-Shirt, grauen Turnschuhen, die Haare wild verwuschelt, sieht auch Jane Birkin immer noch wie ein kleines Mädchen aus. Nimmt die Brille ab, kneift die Augen zusammen, kurzsichtig, schelmisch, lächelt zum Klavier herüber, wo der Pianist Frédéric Maggi sie mit leichten Jazzklängen begleitet, die Texte locker unterlegt. Nein, sie singt nicht, nicht die berühmten Lieder, die Serge Gainsbourg für sie geschrieben hat, sie spricht sie, nimmt sie als Gedichte, als Sprachkunstwerke ernst, wie es einem Literaturfestival gebührt. Und wirkt, still auf ihrem Stuhl, das Mikro vor der Nase, konzentriert den Texten gewidmet, die sie uneitel, undramatisch, sehr zurückgenommen und dann auch wieder sehr musikalisch liest, noch immer wie ein Luftwesen, zerbrechlich, zart und zauberhaft.

Da macht es auch nichts, dass Annos Texte zum Teil recht frühreif daherkommen: „To you, my pages may seem insignificant“, für euch mögen meine Worte bedeutungslos scheinen, sagt er selbst in einem Lied. Ein Knabe, der zu viel vom Sterben schreibt, hellsichtig, sensibel, überwach, aber auch entschieden politisch, einer, der sich nach 9/11 Gedanken macht über Ahmed Massud, den „Löwen von Pandschir“: „Don’t let the smoke of New York City / cloud your eyes to the horizon.“ Tausend Gedichte hatte Anno Birkin geschrieben, seit er 12 oder 13 war. Sein Vater Andrew hat nach dem tragischen Unfall Jahre seines Lebens der Edition der Gedichte gewidmet. Und auch Tante Jane erweist ihm einen Liebesdienst, indem sie ihn so selbstverständlich neben sein großes Vorbild Gainsbourg stellt.

Trauer ohne Tränen

Was dem Abend eine anrührend, manchmal auch beklemmend private Note gibt, auch wenn Birkin elegant die Balance hält zwischen Leichtigkeit und Schwere. Wenn sie von Annos letzter Fahrt erzählt, davon, wie sie von seinem Tod erfuhr, von der Beerdigung und dem Gedicht, das sie dort gelesen hat („Promise me, you won’t forget my name“), dann stockt ihre Stimme kaum, nein, es kommen auch keine Tränen, aber in der Art, wie sie das Mikrofon niederlegt, die Brille ablegt, die Augen kurz schließt, ist viel Trauer. Trauer, die sich mit einer älteren, tieferen Trauer verbindet – die um Serge Gainsbourg.

Das letzte Lied, das er für sie schrieb, war „Amours des feintes“, Maskerade der Liebe, Liebe zu den Schatten, wie immer man es übersetzt, und „das Ende ist besonders traurig“, kündigt Jane Birkin an und schließt: „ma bon!“. Wie sehr Gainsbourg noch immer in ihren Gedanken lebt, enthüllt ihre Erzählung vom Besuch im Berliner Brecht-Haus, Brescht, wie sie sagt. Da habe eine Olivetti gestanden, und das Museumspersonal habe ihr erklärt, wie sehr Brecht an der Maschine gehangen habe, und sie habe überlegt, wenn Brecht eine Olivetti liebte, dann durfte Gainsbourg auch seine IBM lieben, und überhaupt, sehen Brecht und Serge sich nicht ähnlich, hatten sie nicht den gleichen Humor? Und liest „Haine pour aime“, Gainsbourgs Sprachspiel, das er geschrieben hat, als sie sich über seine IBM aufregte. Ja, es ist ein leichter Abend, dieser knapp einstündige Gedenkabend für die flüchtigen Toten.

Christina Tilmann

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