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© Pandora

Libanonkrieg 1982: Die Gezeichneten

Sie zogen blutjung in den Krieg: Ari Folmans "Waltz with Bashir" erzählt vom Trauma einer Generation Israelis. Die erste animierte Doku-Fiction ist ein Schockbildertrip von hypnotischer Intensität, in dem sich Wirklichkeitsfetzen mit Träumen und Albträumen mischen.

Der Nachthimmel ist gelb, giftig gelb, das Licht spiegelt sich in den Pfützen. Hunde fletschen die Zähne, eine wölfische Meute. Es sind 26, erzählt Boaz seinem Freund Ari, immer wenn sie ihn bis zu seinem Büro verfolgt haben, wacht er auf. Ein Albtraum, der etwas mit dem Libanonkrieg zu tun hat, bei dem Boaz dabei war.

Auch Ari, der Regisseur Ari Folman, war 1982 Soldat, er war 19, auch er hat heute einen wiederkehrenden Traum. Nackt und mit Waffe steigt er aus dem Meer vor Beirut, Leuchtkugeln fallen vom Himmel, das Wasser ist gelb wie die Nacht. Ari Folman erinnert sich nicht, was die Szene bedeuten soll. Er weiß nur, sie hat etwas mit den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila zu tun, die in diesen Tagen von christlichen Milizen verübt wurden. Die Falangisten wurden gedeckt von der israelischen Armee, seiner Armee. War Ari 100 Meter entfernt? 200, 300? Was sah er, wusste er, tat er? Das hat, sagt er selbst, sein System nicht gespeichert.

Ari Folman unternimmt eine Reise in seine Vergangenheit, trifft alte Freunde, Libanonkämpfer, Kriegsreporter, Psychologen. Jeder, der damals dabei war, hat ein Bild, das ihn nicht loslässt. Die Hunde, das Meer, ein zum rosa Loveboat umfunktioniertes Kommandoschiff. Vom Loveboat erzählt Ronny, der Schwimmer, der seine ozeanische Sex- und Überlebensobsession von damals noch einmal durchlebt.

„Waltz with Bashir“ ist eine Kriegsgeisterstunde. Ein Schockbildertrip, surreal, hyperreal. War-Clubbing: entfesselte Angst, MP-Salven gegen die Panik, die Stille des Todes, die Brachialgewalt eines Panzers, das obszöne Soldatenstrandleben mit Patschuli und Flaschenschießen. Die sterbenden Pferde im Beiruter Hippodrom werden zum Inbild menschlichen Leids, während die zerborstenen Flugzeuge am Airport wie Tierkadaver verwesen. Und immer wieder die Angst: unkontrollierbare, wahnsinnige Todesangst. Unter ihrem Albdruck explodiert die Gewalt, implodiert die Fantasie. Max Richters Soundtrack mit Bach und Beat, Punk und Chopin und psychedelischen Loops sorgt für nachhaltiges Seelenbeben.

Seinen Titel verdankt der Film einer Episode an einer Beiruter Kreuzung, deren Hochhauswände das Konterfei des von Palästinensern ermordeten LibanonPräsidenten Bashir Gemayel ziert – die Massaker waren von Rachegelüsten genährt. Auf dieser Kreuzung, mitten in der Hölle des Krieges, tanzt Aris Kamerad Frenkel einen von Snipern rhythmisierten Walzer mit seinem Gewehr.

„Waltz with Bashir“ ist auch eine filmhistorische Neuheit: die erste animierte Doku-Fiction. Eine israelisch-französischdeutsche Koproduktion; die beteiligte Berliner Razor-Film hat bereits das Selbstmordattentäter-Drama „Paradise Now“ mitproduziert. Folman filmte seine Recherche, stellte ein normales Video mit Interviews und inszenierten Rückblenden her und fertigte nach diesem Video ein Storyboard, das wiederum zum Film montiert wurde, zu einer sogenannten Animatic. Diese Animatic bildete die Grundlage für handgefertigte Zeichnungen, aus denen sich schließlich der eigentliche Animationsfilm zusammensetzt.

Boaz, Frenkel, der Schwimmer Ronny, ein Panzerkommandant oder der Kriegsreporter Ron Ben-Yishai, der Ariel Scharon telefonisch über die Massaker informierte (worauf Scharon nichts unternahm): Ari befragt neun Zeitzeugen und Experten, nur zwei, die anonym bleiben wollten, werden von Schauspielern „dargestellt“. Man hört die echten Stimmen der Interviewten, man sieht sie: gezeichnet. Jedes Bild wechselt mehrfach sein Medium, durchläuft Metamorphosen, wird zum Amalgam, zum Kondensat der Wirklichkeit. Es gibt technisch perfektere Trickfilme, aber kaum einen von solch archaischer, hypnotischer Intensität.

„This is not a Love Song“, singen die Punkrocker von P.I.L., als Ari Liebeskummer hat, beim ersten Fronturlaub in Tel Aviv. Er dauert 24 Stunden. Hier die Jugendkultur und zuckende Disco-Leiber, dort der Kommandant in der besetzten Strandvilla, der sich deutsche Pornos ansieht. Die Erotik ist pervertiert, das Leben aus dem Takt. Die Animationsästhetik vergegenwärtigt Geschichte und stellt eine mitunter wahnwitzige Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen her. Das Vergangene krallt sich in die Gegenwart.

Wirklichkeitsfetzen, Erinnerungsskizzen, Verdrängtes. Erfundene, halluzinierte Reminiszenz – all das schiebt sich ineinander, Traum und Albtraum verschmelzen. Am Ende sieht man reale Aufnahmen von weinenden, schreienden Frauen aus einem der Lager. Überlebende. Es ist nicht mal eine Minute. Die Minute, die Ari Folmans System nicht gespeichert hatte. Danach ist man froh, dass vorher alles Trickfilm war, halbwegs erträglich anzusehen.

Ari und seine Freunde, die blutjung in den Krieg zogen, ahnungslos, überfordert – sie leiden unter Opfer- wie unter Tätergefühlen. Sie sind unschuldig schuldig, ein vertrackter Komplex. Folman hat diesen Film gedreht, als Therapie. Er hat keine Palästinenser massakriert, er hat „nur“ wild um sich geschossen, um zu überleben – dabei wurden ganze Familien getötet. Er war nicht in den Flüchtlingslagern, aber die Israelis haben die Leuchtraketen abgeschossen, damit die Mörder Licht hatten zum Morden. Deshalb ist der Himmel so gelb.

Darin steckt das Teuflische jedes Krieges, in Israel, im Libanon, in Vietnam, in Irak. Soldaten töten, um im Meer ihrer Angst nicht zu ertrinken. Nicht jeder, der zurückkehrt, kann einen Film drehen, um sich seinem Trauma zu stellen.

Ab Donnerstag in sechs Berliner Kinos. OmU in den Hackeschen Höfen

Trailer von Waltz with Bashir:

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