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Kultur: Liebe: Die Unvollendete

"Ich liebe Euch alle!" sagt nicht nur Schumi.

"Ich liebe Euch alle!" sagt nicht nur Schumi. Lieben kann man vieles: die Sekretärin im Nebenzimmer, die Toskana, Pommes rotweiß, Absinth, seinen Goldfisch, Eisern Union. In der Gegenwart ist Liebe, so scheint es, nicht mehr der letzte Anker im Meer der Beliebigkeit, sondern Inbegriff des Anything goes. "Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau." Niemand Geringeres als Gustav Heinemann unternahm vor 30 Jahren einen letzten, ehrwürdigen Versuch, die Idee der reinen Liebe zu retten. Doch seine Bemerkung zielte kaum darauf, seine intimste Beziehung durch öffentliche Bekenntnisse zu beglaubigen; vielmehr instrumentalisierte er sie, um die Staatsfrömmigkeit seiner Landsleute zu ironisieren. Worin sich die Crux aller modernen Liebesverhältnisse offenbart. Zweckfrei und völlig unegoistisch sind sie kaum zu denken, geschweige denn zu formulieren.

Auch die Liebe ist ein Gefühl, das so schön und anständig nicht ist, wenn man genauer hinschaut. Um kaum einen zweiten Gemütszustand ranken so viele Lebenslügen und Schönfärbereien; Idealisierungen, die nicht zuletzt den Zweck haben, von der Kompliziertheit und - was vielleicht dasselbe ist - Banalität des Gegenstandes abzulenken. Das war womöglich auch die Absicht der Veranstalter einer Tagung, bei der man im bayerischen Schloss Elmau drei Tage lang "Über die Liebe" konferierte. Im Programm war viel von hehren Ideen die Rede und von der "Rehabilitation der Liebe"; es referierte eine erstaunlich große Zahl von Theologen und Religionsexperten - als ob ausgerechnet diese Generalkompetenz in Sachen Liebe beanspruchen könnten.

Immerhin galt die Liebe einst als wichtigster Gegenstand der Philosophie. Schon von Platon wurde sie in dessen "Symposion" als das kosmische Prinzip, das die unterschiedlichen Elemente der Welt zusammenhält, ins Zentrum aller denkerischen Anstrengung gerückt. In den zwei Jahrtausenden danach geriet sie allmählich in Vergessenheit - zumindest unter Philosophen, die meinten, über dieses Thema ließe sich nichts Neues beziehungsweise überhaupt nichts sagen, weshalb sie es lieber den Dichtern, Komponisten und eben auch Theologen überließen. Liebe, so meinte man zu wissen, sei etwas Poetisches und irgendwie Diffuses, der Vernunft nicht Zugängliches.

Weniger die Kunst, als Psychoanalyse, Naturwissenschaften und der soziale Wertewandel machen die Liebe auch für Philosophen nun wieder aktuell. Konsequenterweise war Rüdiger Safranskis Erinnerung an Platon melancholisch eingefärbt: "Abgekühlt" seien die Interpretationen der Weltverhältnisse, resümierte er zum Auftakt, Sigmund Freud sei mit seiner Libidotheorie "einer der letzten Mohikaner der alten Metaphysik der Liebe". Heute dominierten stattdessen Säfte und Strukturen, Östrogene und Androgene, kalte Theorien über einen heißen Gegenstand. Als Safranski die scharfen Veränderungen Revue passieren ließ, denen die Liebe besonders in den letzten Jahrzehnten unterworfen scheint, dachte man im Saal nicht nur an die verschiedenen Sprachcodes, in denen jede Variante unseres Liebeslebens analysiert und zerredet wird.

Daneben gibt es tatsächliche Veränderungen: Die Menschen leben immer länger, dafür dauern ihre Ehen - wenn sie überhaupt noch geschlossen werden - immer kürzer. Ansonsten führt man Beziehungen von kurzer Verfallszeit. Die gleichgeschlechtliche Liebe ist dabei wieder fast so erlaubt wie zu Platons Zeiten, hinzu kommen der Cybersex und die Suche nach dem "Liebes-Gen". Da ist es ziemlich schwer, noch Ordnung in das Chaos der Phänomene zu bringen. Zumal nicht nur Safranski den berechtigten Verdacht äußerte, dass es gerade die Liebe sei, die das Chaos in die Ordnung bringe. Auch die schlichte Andacht des Theologen Jürgen Moltmann - 1 Kor 13 - half nicht viel weiter. In etlichen Tagungsbeiträgen wurde vielmehr deutlich, dass sich die Philosophie unter der Chiffre der Liebe Widersprüchliches erlaubt. Einerseits darf man endlich über Sex reden, von Wilden Erdbeeren und Eros schwärmen, eigene Anekdoten einstreuen und mit ihnen beweisen, dass man selbst nicht nur aus kontemplativem Kopf sondern auch aus aktivem Leib besteht. Andererseits scheint die Liebe mitunter als eine Art Religionsersatz zu fungieren.

Neue Akzente setzte der Frankfurter Philosoph Axel Honneth, der sich immerhin eine präzise Frage vorgenommen hatte: "Was hat Liebe mit Moral zu tun?" Nun mag solch ein Problem vor allem Kantianer ernsthaft beschäftigen, die Frage macht trotzdem Sinn. Viele US-Wissenschaftler vertreten nämlich die These, Liebe und Moral seien strikt zu trennen. Konkret: Wenn das Haus brennt, rettet man zuerst die Geliebte, auch wenn der Kategorische Imperativ es gebieten mag, beim Hausmeister anzufangen. Dennoch führte Honneth mit einigem Erfolg den Nachweis, dass Liebe durchaus ein moralisches Verhältnis sei, nur eben "anderen Typs." So bemerkte er treffend, dass man auch dem Menschen gegenüber, "den man früher einmal geliebt hat", spezielle Verpflichtungen besitzt.

Slavoj Zizek, dem pfiffigen Slowenen, war das alles zu harmonisch: "Man liebt nur das, was nicht perfekt ist". Ein kleiner Makel müsse schon sein, sonst werde die Liebe unmenschlich. Darum sei beispielsweise das Model Cindy Crawford (wegen deren Muttermal im Mundwinkel) attraktiver als Plastik-Barbie Claudia Schiffer. Wer dieser Konkretion nicht zustimmen mochte, dem hielt Zizek die These von Sören Kierkegaard entgegen, derzufolge das ideale Liebesobjekt ein Toter sei: "Nur der Tote ist perfekt, eine Idee, die die Romantik und ihre Liebesideen beeinflusst hat." Zizek nannte Wagners "Tristan", betonte, er halte nichts von Liebestod und dunkler Nacht und verknüpfte sein Plädoyer für ironische Gelassenheit mit klug gesetzten Seitenhieben auf Buddhismus und Christentum, denen er ebenfalls klammheimliche Todesverklärung vorhielt.

Für die Rückkehr zur Wirklichkeit sorgte die Soziologin Eva Illouz, die das tat, was alle gute Theorie tun muss: Illusionen zerstreuen. Illouz hat untersucht, was gebildete, wohlhabende Menschen des Westens für "besonders romantisch" halten. Fazit: "Zur idealen romantischen Situation gehört ein anderer Ort, eine andere Zeit, erhöhter Kostenaufwand und eine künstliche Situation", sprich ein abendliches Candle-Light-Dinner in Smoking und Abendkleid mit Champagner am Meer. Fast alle Befragten hegten ungefähr das gleiche Ideal. Von wegen Einzigartigkeit: Unsere intimsten Gefühle sind offenbar von der Stange.

Noch besser konnten dies jene erfahren, die sich zum Schluss der Tagung Wong Kar-wais Film "In the Mood for Love" anschauten: eine hochromantische Liebesgeschichte, die missglückt, nicht weil es an Liebe fehlte, sondern weil die Umstände nicht passen - und zugleich eine filmische Bestätigung der so unterschiedlichen Thesen von Zizek und Illiuz. Neine, die Liebe taugt nicht als Wärmstube des Fundamentalismus in der Moderne. "Profan und partikular" (Honneth) ist auch sie ein unvollendetes Projekt.

Rüdiger Suchsland

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