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Bosnien: Liebe in Zeiten der Religion

Nach dem Krieg, mitten im Alltag: Jasmila Zbanics Bosnien-Drama "Zwischen uns das Paradies".

Bumm! Amar (Leon Lucev) ist beim Ausparken in einen schwarzen Mercedes gekracht. Als er und der andere Fahrer den Schaden begutachten, begrüßt dieser ihn freundlich: Die beiden haben im Bosnienkrieg gegen die Serben gekämpft. Amar braucht ein bisschen, um den alten Kameraden Bahrija (Ermin Bravo)zu erkennen, denn der trägt jetzt den langen Vollbart und die Kleidung der strenggläubigen muslimischen Wahhabiten.

Eine Schicksalsbegegnung – für Amar und auch für seine Freundin Luna (Zrinka Cvitešik). Denn als Amar wegen Alkoholproblemen seinen Job auf dem Flughafen von Sarajewo verliert, sich zunehmend verunsichert und gedemütigt fühlt, beginnt er sein Leben nach religiösen Maßstäben neu auszurichten. „Ich will ein besserer Mensch werden“, sagt er. Bahrija hilft ihm dabei, verschafft ihm einen neuen Job in seiner Gemeinde, nimmt ihn in die Moschee mit und ins Sommercamp der Wahhabiten am See. Luna beobachtet die Verwandlung zunächst erstaunt und dann immer verständnisloser.

Regisseurin Jasmila Žbanik erzählt ihren zweiten Spielfilm „Zwischen uns das Paradies“, der dieses Jahr im Wettbewerb der Berlinale uraufgeführt wurde, aus der Sicht von Luna. Eine moderne, junge Stewardess, die gerne feiert und sich ein Kind wünscht. Ihre Liebe zu Amar ist tief, sie will begreifen, was mit ihm geschieht.

Es ist eine universelle Geschichte, die jedes Liebespaar in ähnlicher Weise erleben könnte, wie Žbanik betont. Doch sie schaut eben auf eine sehr spezielle Konstellation, die es so nur in Bosnien gibt. Nachdem die Osmanen Mitte des 15. Jahrhunderts die Herrschaft übernommen hatten, traten viele Bewohner zum Islam über, der sich hier in einer ganz eigenen Form entwickelt hat. Im säkularen Jugoslawien spielte er allerdings kaum eine Rolle, genau wie die anderen Religionen.

Während des Krieges von 1992 bis 1995, in dem 100 000 Menschen starben und über 2 Millionen vertrieben wurden, halfen islamische Länder wie Saudi-Arabien den Bosniaken, also den bosnischen Moslems, mit Waffen, Geld und Kämpfern. Einige dieser Mudschaheddin blieben nach Kriegsende im Land, erhielten sogar die bosnische Staatsangehörigkeit. Mit saudischem Geld wurden viele Moscheen wiederaufgebaut oder neu errichtet wie etwa die riesige Kralj Fahd Moschee in Sarajewo, die in „Zwischen uns das Paradies“ mehrmals zu sehen ist. Der Wahhabismus – in Saudi-Arabien Staatsreligion – hat so in Bosnien und Herzegowina einen gewissen Einfluss gewonnen.

Wie der liberale und der dogmatische Islam aufeinandertreffen, zeigt Žbanik in einer eindrucksvollen Szene. Zum Zuckerfest am Ende des Ramadan trifft sich die Familie bei Lunas Großmutter. Alle sind guter Laune, es wird gegessen, Musik gemacht und Schnaps getrunken. Nur Amar sitzt steif und teilnahmslos in der Runde. Plötzlich platzt es aus ihm heraus: „Wir denken wir sind Muslime, dabei haben wir unseren wahren Glauben vergessen.“ Er wettert gegen das Trinken und erklärt sogar den Genozid während des Krieges als Strafe Gottes für die laxe Glaubenshaltung der Bosniaken. Nach diesem Ausbruch, der von Lunas Oma hart gekontert wird, ist die Feier für Amar gelaufen. Er stürmt aus der Wohnung, Luna hinterher.

„Zwischen uns das Paradies“ spielt einige Argumente der politischen Debatte durch, ist aber deshalb noch lange kein Thesenfilm. Das liegt vor allem an den hervorragenden Schauspielern und dem unvoreingenommenen Blick, mit dem Jasmila Žbanik auf die Wahhabiten blickt. Bahrija etwa zeichnet sie als sanftmütigen Charismatiker, der wunderschön singen kann. Und auch seine Burka tragende Frau Nadja erscheint bei aller religiösen Borniertheit als starke, komplexe Persönlichkeit.

Gespielt wird sie von Mirjana Karanovik, die bereits in Žbanik’ Debütfilm „Grbavica – Esmas Geheimnis“ zu sehen war. Die Intensität und Glaubwürdigkeit dieses mit 2006 mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Mutter-Tochter-Dramas erreicht ihr neues Werk über ein Paar im heutigen Sarajewo zwar nicht. Doch es ist ein mutiger, kompromissloser Liebesfilm, der zeigt, wie politische Fragen mit einem Mal den Alltag durchdringen können und schmerzhafte Entscheidungen erzwingen.

Broadway, Filmtheater am Friedrichshain, Moviemento, OmU: Hackesche Höfe Kino

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