zum Hauptinhalt

Kultur: „Liebe ist der Klebstoff“

Als die Band Mia auf die deutsche Flagge anspielte, flogen Eier. Ein Gespräch über große Gefühle

Von den elf Songs auf dem neuen Mia-Album „Zirkus“ handeln sechs von der Liebe.

MIEZE KATZ: So viele? Welche denn?

„Tanz der Moleküle“, „Floß“, „Oder nicht oder doch“, „Dann war das wohl Liebe“, „Je dis aime – Ich sag Liebe“ und „Was Besonderes“.

KATZ: Auf vier können wir uns einigen: „Je dis aime“ ist ein Coversong, den wir eingedeutscht haben, er stammt ursprünglich von Mathieu Chedid, einem französischen Chanson-Supermegastar. Und „Was Besonderes“ handelt nicht von der Liebe, sondern vom Schicksal.

Da heißt es: „Im Zufall rennst du in mich rein / Als hätten wir drauf gewartet / Hab eben noch an dich gedacht, und jetzt nennst du mich beim Namen.“ Klingt nach einer Boy-meets-Girl-Geschichte.

KATZ: Aber es geht ja noch weiter, sechs Strophen lang. „Was Besonderes“ sind Zufälle, diese eigenartigen Situationen, die jeder kennt: Man denkt an jemanden und plötzlich ruft er dich an oder steht vor dir. An „Boy meets Girl“ habe ich beim Schreiben definitiv nicht gedacht. Wobei es ein „Definitiv“ bei Songtexten nicht gibt, da kann sich jeder Hörer selbst seinen Reim drauf machen.

Ist „Zirkus“ ein Liebes-Album?

KATZ: Es gibt viel Liebe auf dieser Platte, Love is in the Air. Einfach, weil es kein stärkeres Wort gibt für das, was ich beschreiben will. Es geht auch um die Liebe zu den Dingen, um die Einzigartigkeit dieser sich ständig verändernden Dinge, von denen wir ein Teil sind. Das Stück „Uhlala“ handelt von den Elementen, die immer da waren und immer da sein werden: Wasser, Licht, Erde, Luft. Wenn „Zirkus“ ein Liebes-Album ist, dann nicht im herkömmlichen, sondern im übertragenen Sinne.

ANDY PENN: Die Liebe ist eine Art Klebstoff zwischen den Dingen. Der hippiemäßige Gedanke wäre: Du kommst in einen Raum und spürst, da ist ein ganz toller Spirit. Das heißt aber nicht, dass alle Leute, die sich im Raum befinden, in einer klassischen Beziehung miteinander sind, sondern dass dort die Kommunikation funktioniert. Darum geht es in unserer Single „Tanz der Moleküle". Man hat eine Scheu davor, so eine Energie „Liebe“ zu nennen, weil Liebe etwas ist, was die Menschen für sich festhalten wollen.

Es gibt Tausende von Liedern und Gedichten über die Liebe. Wie vermeidet man Klischees, wenn man ein neues schreibt?

KATZ: Die Liebe ist ja immer wieder neu. Es haben sich schon vor uns Millionen Menschen verliebt, Ehen geführt und sich wieder scheiden lassen. Wir sind trotzdem alle nicht schlauer. Jeder fängt immer wieder bei Null an. Wir stehen entweder vor einer Liebe, sind mittendrin oder haben eine Liebe hinter uns. Wir wollen Liebe oder wir wollen sie bewusst gerade nicht. Liebe ist das Bindeglied zwischen allen Menschen, der Grund, warum wir uns nicht alle zerhacken. Ein endloses Thema, auch im X-millionsten Song noch nicht endgültig abgehandelt.

In „Tanz der Moleküle“ heißt es: „Mein Herz tanzt / Und jedes Molekül bewegt sich.“ Das beschreibt den Zustand des akuten Verliebtseins, oder?

KATZ: Verstand – aus, Chemie –an. Das ist nicht nur beim Sich-Verlieben so, wir finden oft Sachen gut ohne zu wissen, warum. Seinen Körper muss man sich als Chemie-Cocktail vorstellen, den man nicht immer im Griff hat. Und plötzlich rast dein Herz und du denkst: Wow! Das passiert dem Formel-1-Piloten vor dem Start oder dem Menschen, der zum ersten Mal vom Zehnmeterturm springt. Mir geht es so, wenn ich im richtigen Moment ein richtig, richtig gutes Lied höre, ich spüre den Bass im Bauch, Endorphine werden ausgeschüttet. Großartig.

Für Ihren Hit „Was es ist“ haben Sie auf ein Gedicht von Erich Fried zurückgegriffen „Es ist, was es ist, sagt die Liebe. Was es ist, fragt der Verstand“. Variiert „Tanz der Moleküle“ diesen Gedanken noch einmal: Vernunft gegen Gefühl?

INGO PULS: Nein. „Tanz der Moleküle“ beschreibt einen offenen Moment, eine Art von Ladung, gegen die du dich nicht wehren kannst, die du aber klar lokalisieren kannst: in dir selber.

In „Floß“ heißt es: „Wär deine Liebe ein Boot / Ich würde sinken.“ Da ist von der Liebe nur noch ein Schmerz übrig.

PENN: Das ist kein Schlussstrich-Song, nichts ist abgeschlossen, alles ist buchstäblich im Fluss.

Die Musik kommt von der ganzen Band, die Texte von Mieze. Sind sie autobiografisch?

KATZ: Schwer zu sagen. Das bin immer ich, aber ich wollte nicht, dass es eine Platte über mich und meine Gefühlswelt wird. In den acht Monaten, in denen wir „Zirkus“ aufgenommen haben, haben wir uns täglich gesehen, wir waren ständig im Gespräch, da kamen Ideen von überallher. Ein Impuls kann ein Wort sein, dass ich irgendwo aufschnappe, oder ein Gedanke aus einem Buch, das ich gerade gelesen habe. Aber ich stecke da überall drin, in den Songs, von Kopf bis Fuß. Musik kommt dann beim Hörer an, wenn der, der sie macht, wirklich ein Anliegen hat mit ihr, wenn er rein will in deinen Körper und deinen Kopf. Wenn ich Judy Garland höre, spüre ich diese Kraft, man muss gar nicht verstehen, was sie singt, um nachzuempfinden, was sie fühlt. Oder „Now or Never“ von Elvis: Der singt so, dass er jede Zeile, jede Silbe mit Haut und Haar ausfüllt.

„Zirkus“ klingt sanfter, weniger punkig als die ersten beiden Platten.

KATZ: Hoffentlich. Wir wollten soundmäßig die größtmöglichen Rassel-Dingbums-Tsching-Tschings mit da drauf haben. Man soll der Platte die Liebe zum Detail anhören, das Ausgearbeitete, dass man sich die große Geste traut und trotzdem jede Kleinigkeit sorgfältig ausgeführt ist. Polieren, schleifen, besser werden: Darauf kommt es an, wenn man sich als Band weiter entwickeln will.

Mia hat Fans, aber auch Verächter. Die „taz“ nannte die Band „ein konstantes Ärgernis“. Wie erklären Sie es sich, dass Sie so sehr polarisieren?

KATZ: Keine Ahnung. Wie erklären Sie das denn?

Sie haben sich offenbar auf popkulturell vermintem Gelände bewegt. Weil der Text von „Was es ist“ auf die Farben Schwarz-Rot-Gold anspielt, kam es zu Boykottaufrufen und Eierwürfen.

KATZ: Das ist zwei Jahre her, danach ist viel passiert.

PULS: Es gab immer schon Leute, denen wir nicht in den Kram passten. Ich glaube, dass wir in ganz viele Muster nicht reinpassen, die auf eine Band projiziert werden von Leuten, die über Musik schreiben. Wir halten nicht immer den Sicherheitsabstand ein. Schon auf unserer ersten Platte sang Mieze in dem Stück „Verrückt“: „Sehe ich dich, will ich mich streiten“. Das tritt auf eine Art an dich ran, die manchmal nicht angenehm ist. Wir sind indiskret, verstoßen gegen Regeln. Und Mieze geht als Frauenfigur ganz vielen Leuten gegen den Strich.

PENN: Wir machen unsere Musik nicht, um Erwartungen zu erfüllen. Wir machen Musik, weil wir Fragen haben. Wir wollen nicht die tolle PC-Kunst-Band für die Indie-Pop-Freaks sein, aber wir werden auch nicht für die Grand-Prix-Hörer die große Liebeshymne aufnehmen, die seicht und schmalzig rein geht. Wir sind keine Dienstleister.

KATZ: Unsere Aufgabe ist es nicht, die beste Platte, den besten Song aller Zeiten zu liefern. Wir geben nur Interviews, weil wir auf die Bühne wollen. Das ist das Allergrößte nach Tagen, in denen wir mit hundert Journalisten gesprochen haben, vor Tausenden von Fans zu spielen, die genauso Bock haben wie wir. Denn darum geht es, Musik zu machen.

– Das Gespräch führte Christian Schröder.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false