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Der Architekt

© Max-Ophüls-Preis

Filmfestival: Liebe macht sehend

Doppelsieg: Der Nachwuchs aus Österreich triumphiert beim 30. Saarbrücker Max-Ophüls-Festival.

Der erste Jahrgang des Filmfestivals Max-Ophüls-Preis 1980 war mit gerade einmal 708 Zuschauern eigentlich ein Flop. Aber der damalige Saarbrücker Oberbürgermeister Oskar Lafontaine, schon zu jener Zeit ein Mann mit untrüglichem PR-Gespür, zeigte sich hocherfreut vom überregionalen Presse echo des Pilotprojektes und verdoppelte das Budget. Eine weise Entscheidung, denn das kleine Filmfestival mauserte sich bald zum wichtigsten Forum des deutschsprachigen Nachwuchsfilms. Die Publikumszahlen stiegen beständig auf mittlerweile fast 35 000 Zuschauer – und Filmemacher wie Dani Levy, Rainer Kaufmann, Doris Dörrie, Andreas Dresen, Christian Petzold oder Florian Henckel von Donnersmarck machten in Saarbrücken ihre ersten Gehversuche auf dem Festivalparkett. Trotz wachsender Konkurrenz durch kommunale Filmfestivals und die Perspektive-Reihe der Berlinale bleibt die Filmschau in Saarbrücken, das bewies sie nunmehr zum 30. Mal, der zuverlässigste Seismograf für die Zukunft des deutschsprachigen Films.

Der Jubiläumsjahrgang zeichnete sich durch eine überraschend große thematische wie formale Vielfalt aus. Hochstapler, trauernde Witwen, kriselnde Patriarchen, Zwangsneurotiker, Karriereausbrecher und politische Flüchtlinge bevölkerten das Festivaluniversum. Der Genre bogen spannte sich von dem mythischen Gemälde „Kronos. Ende und Anfang“ von Olav F. Wehling (Darstellerpreis für Sergej Moya) bis zur experimentellen Kollage „Universalove“, die von der Jury mit dem Max-Ophüls-Preis (36 000 Euro) ausgezeichnet wurde.

Der Österreicher Thomas Woschitz komponierte hierfür in Belgrad, Brooklyn, Rio de Janeiro, Luxemburg, Marseille und Tokio eine globale Symphonie, in der von der Sehnsucht, der Verklärung, vom Sichverlieben bis zur Eifersucht die Facetten dieses Gefühls abgetastet werden. Das gesprochene Wort ist hier nur von beiläufiger Bedeutung. Die treibende Kraft liegt in der Musik und der pulsierenden Montage. Auch der zweite Hauptpreis des saarländischen Ministerpräsidenten (11 000 Euro) ging an eine Produktion aus der Alpenrepublik. In „Ein Augenblick Freiheit“ erzählt der iranisch-österreichische Filmemacher Arash T. Riahi von drei Gruppen iranischer und kurdischer Flüchtlinge, die in Ankara auf ihre Passage in den Westen warten, und legt dabei ohne Opferpathos tragische und komische Sequenzen hautnah nebeneinander.

Auffallend viele Nachwuchsfilmer nutzten die Familie als Keimzelle des Dramas. Die Schauspielerin Ina Weisse, die gemeinsam mit Daphne Charizani den Drehbuch-Preis erhielt, erzählt in ihrem Regiedebüt „Der Architekt“, der an diesem Donnerstag ins Kino kommt, vom langsamen Machtverlust eines Patriarchen, dessen lebenslange Verdrängungsmechanismen bei der Rückkehr in die dörfliche Heimat ausgehebelt werden – mit dem wunderbaren Josef Bierbichler in der Hauptrolle.

Gleich mehrere Filme gingen gezielt an die Grenzen der menschlichen Verdrängungsfähigkeiten. Der österreichische Filmemacher Händl Klaus beschreibt in „März“ eindringlich den schmerzhaften Trauerprozess, den die Bewohner eines Dorfes nach dem kollektiven Selbstmord von drei Jugendlichen erleben. Matthias Luthardt („Ping Pong“) folgt in „Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf“ einer jungen Witwe, die glaubt, ihren verschwundenen Ehemann beim Opernbesuch wiederzuerkennen; der Film mündet aber in einer unschlüssigen Geschichte, die zu wenig irritiert, um zu überzeugen. In dem Schweizer Beitrag „Tausend Ozeane“ hingegen macht Regisseur Luki Frieden die schleichende Irritation zum Erzählprinzip, indem er sich – ohne das Publikum einzuweihen – in die Erinnerungswelten eines Komapatienten begibt.

Verdrängung als typisch deutsches Lebensprinzip untersuchen Martin Farkas und Matthias Zuber in der aufschlussreichen Dokumentation „Deutsche Seelen“ auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad aus der chilenischen Schreckenswelt des Diktators Pinochet: Viele Bewohner erhalten die Gemeinschaft nach der Verhaftung des pädophilen Sektenführers Paul Schäfer weiterhin aufrecht. Bemerkenswerter als die erzählten Fakten aus dem gewalttätigen Sektenalltag sind die Funktionsmechanismen bigotter Doppelmoral und die psychischen Ausweichmanöver, die frappierend an die Verdrängungskultur im Nachkriegsdeutschland erinnern.

Gegen die blinden Flecken seiner eigenen Familiengeschichte im stark religiös geprägten Milieu der Neuapostolischen Kirche zieht der Münchner HFF-Student Jens Junker mit „Alias“ zu Felde. Mit 21 Jahren erfährt der Filmemacher, dass er wahrscheinlich nicht bei seinem leiblichen Vater aufgewachsen ist. Er begibt sich nicht nur auf die Suche nach seinem Erzeuger, sondern auch nach den Rissen in der kleinbürgerlichen Familienstruktur, die durch den verdrängten Ehebruch entstanden sind. Ein ungemein persönlicher, aufrichtiger und berührender Film fernab aller Nabelschau. Der hartgesottene Filmkritiker gesteht an dieser Stelle gern, Rotz und Wasser geheult zu haben. Im neu eingerichteten Dokfilm-Wettbewerb, der eine wirkliche Bereicherung des Festivals darstellt, wurde „Alias“ als beste Dokumentation ausgezeichnet.

Den Publikumspreis erhielt Almut Gettos schön skurriler Liebesfilm „Ganz nah bei dir“; sie erzählt vom schwierigen Annäherungsprozess eines jungen Zwangsneurotikers und einer blinden Cellistin. Was sich ein wenig angestrengt originell lesen mag, wird auf der Leinwand dank des fein temperierten Schauspiels von Bastian Trost, einfallsreicher Bildgestaltung und einer äußerst liebevollen Ausstattung zum Lichtblick in der deutschen Komödienlandschaft.

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