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Kultur: Liebe, Verrat

Zum Tod der ungarischen Autorin Magda Szabó

Von Gregor Dotzauer

Sie kam aus einer Zeit, in der das Erzählen die Welt noch ordnen konnte. Ob sie in höheren Regionen Verdammnis- und Erlösungsfragen klärte, in den Niederungen des sozialistischen Ungarn Familiengeheimnisse aufdeckte oder mit der Grubenlampe in versteckte Seelenwinkel hinabstieg: Magda Szabó blieb keine menschliche Regung verborgen. In ihrem Kosmos aus Liebe und Verrat, Integrität und Korruption, der jeder Figur ihre feste Rolle im Spektrum zwischen Gut und Böse zuwies, zog sie die Fäden. Und wer sich freistrampeln wollte, musste erkennen, dass er den Mächten der Vorsehung, die sie getreulich abzubilden glaubte, nicht gewachsen war. Schicksal war für sie Charakter – und Charakter Schicksal.

Dieses Drama des Einzelnen deutete sie mit höchster psychologischer Raffinesse und konnte sich dabei auf einen geschliffenen Unerbittlichkeitston verlassen, der in seiner gemäßigten Modernität auch das breite Publikum in Bann schlug. Mit über zwölf Romanen, die fast alle ins Deutsche übersetzt wurden, mit Theaterstücken, Jugendbüchern, Lyrikbänden und Essays wurde sie in der an bedeutenden Schriftstellerinnen nicht eben reichen ungarischen Literatur zur nationalen, zur internationalen Größe. Als solche haben sie nachfolgende Generationen, die Magda Szabós Grundvertrauen in die Erzählbarkeit von Geschichten nicht mehr teilen wollten, auch schon wieder vom Sockel gestoßen.

Doch Magda Szabó, am 5. Oktober 1917 in Debrecen geboren, hatte ihre Zeit, und es ist – vor allem außerhalb Ungarns – nicht auszuschließen, dass sie noch einmal kommt. Sobald die Sehnsucht nach einem mitteleuropäischen Paradies nachlässt, wie man es in den ironischen Zwischenkriegsromanen von Antal Szerb oder Dezsö Kosztolányi zu erblicken meint, wird man vielleicht auch Szabós Seelendurchleuchtungen neu bewerten – ihre zweifelhafte Rolle als Gesellschaftskritikerin eingeschlossen.

Man wird dann in ihrem Debütroman „Das Fresko“ (1958) über eine selbstzerstörerische Pfarrersfamilie weniger die stille Opposition gegen die Verkrümmung durch den kommunistischen Staatsapparat sehen als vielmehr das Kleinstadtelend, das jede Gesellschaft mit sich bringt. Und in „Die Tür“ (1978), der Geschichte der alten Hausangestellten Emerenc, wird man weniger die Feministin entdecken, die angeblich immer schon über die unmögliche Gemeinschaft von Mann und Frau Bescheid wusste, als die eindrückliche Porträtistin aufrechter Frauen, die am liebsten aus der Erinnerungsperspektive erzählte. Nur ihren didaktischen Unterton wird sie wohl nie loswerden. Die hochbegabte Tochter einer Lehrerin, die selbst Lehrerin wurde, bevor sie im Budapester Kultusministerium arbeitete, hatte immer wieder einen Hang zu überdeutlicher Schicksalsmechanik, wenn sie etwa in „Das Schlachtfest“ einen gedemütigten Mann seine Frau erstechen lässt. Am Montag ist Magda Szabó im Alter von 90 Jahren in Budapest gestorben. Gregor Dotzauer

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