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Kultur: Liebes Spiel

Strindbergs „Fräulein Julie“ ein Sommernachtstraum in Neuhardenberg

Nichts da von kalt verschwitztem Seelenclinch, kein schwüler Leiberkrampf, kein Küchendampf, kein Klassenkampf. August Strindbergs 130 Jahre alte „Fräulein Julie“ tanzt auf der zum Park gelegenen Terrasse des Schlosses Neuhardenberg wie mühelos aus ihrem recht angestaubten Rahmen.

Der Regisseur Armin Holz und sein Bühnenbildner, der Leipziger Maler Matthias Weischer, haben zusammen mit ihren Spielern tatsächlich einen ganz neuen Rahmen gesetzt. So erkennt man die Fabel im offenen, nächtlichen Freilichtspiel zwar wieder, und doch wirkt sie fabelhaft, märchenhaft verändert.

Es ist ja die einstmals provozierende Geschichte der Gutsherrentochter Julie, die in der Hitze einer schwedischen Mittsommernacht ihren Lakaien Jean, der es sonst eher mit der Köchin Kristin hat, nach allerlei neckendem, hetzendem, quälerisch selbstquälerischem Vorspiel dadurch verführt, dass sie sich verführen lässt – und nach dem morgendlichen Erwachen in einem nur angedeuteten Finale den Tod wählt. Schon zu Strindbergs Lebzeiten hatte diese Mischung aus Glut und Sühne, aus sadomasochistischer Freiheitssehnsucht und Selbstbestrafung etwas Unglaubliches. Psychologischer Küchenrealismus verbindet sich neben allem sozialkritischen Adel und Tadel mit den Männerfantasien eines sonderbar verklemmten Erotismus. Strindberg und Jammertal.

Stattdessen nun erst einmal eine musikalische Komödie. Fast eine Farce. Matthias Weischer nimmt die weiße heitere Klassizität der Schlossfassade von Neuhardenberg als selbstverständliche Kulisse, pinnt nur ein paar zarte symbolische Weißzeichen an, ziert den Stuck allenfalls mit einer fliederfarbenen Blüte oder den Silben aus einem schwedischen Volkslied, und über den Köpfen der Zuschauer weht im Wind und Laub einer Platane weiß und leicht ein riesiges Netz. Ein Segel, ein sommerlicher Mückenfänger oder das Seemannsgarn, dem der wunderliche große Fisch entstammt, der mit entblößter Gräte der Köchin Kristin als Rückbank und als witzig designte Liege dient, auf der sie manchmal einschläft und den Fortgang des Stücks, die Affäre ihres Jean mit dem Frollein Julie, nur mehr zu träumen scheint.

Im taghell somnambulen Witz, mit dem die wunderbar mädchenhafte Libgart Schwarz (einst an der Berliner Schaubühne, jetzt an der Wiener Burg) hier wie ein verwunschenes, verwünschendes Kind immer mal ein Liedchen trällert, erscheint die ganze Geschichte auf einmal: als kleiner, fein gemeiner Sommernachtsspuk.

Die bei der Premiere am Samstagabend von zwischenzeitlichen Regenschauern etwas angegriffene Kunst der Komödie zeigt Libgart Schwarz auch in den gewollten Brüchen. So haben Holz und sein Textbearbeiter Gerhard Ahrens in der kaum einstündigen, verdichteten Fassung des Stücks neben anderen poetischen Partikeln aus Strindbergs Werk auch einen durchaus blutigen Monolog aus Oscar Wildes „Salome“ eingestreut. Er wird der träumerischen Kristin in den Mund gelegt, was Libgart Schwarz wie nebenbei zum Aperçu macht. Und nicht zum symbolbefrachteten Aplomb.

Jean ist der mit einem untergründigem Humor begabte Sylvester Groth (zuletzt in Tarantinos „Inglourious Basterds“ ein glänzend kalt-jovialer Goebbels) – und vom Münchner Residenztheater ist Sibylle Canonica als Julie gekommen. Sie verlagert alles Stückschwere ins Leichtfüßige, selbst wenn Jean ihr eben die Füße küssen muss. Die Canonica umschwirrt Schloss und Park, zieht die Aktion buchstäblich in jene Breite, die hier die falsche Tiefe ersetzt, und macht den Abgrund des Begehrens zur tückisch-spielerischen Untiefe. Einmal aber packen sich Julie und Jean, diese Sommernachtstraumtänzer. Bei Strindberg tötet Jean da den Zeisig seiner Geliebten, ein wiederum arg symbolträchtiges Opfer. Vogel und Vögeln. Hier indes zwitschert Sibylle Canonica selber wie ein Vogel – und Groth reißt ihr den Laut einfach aus dem Mund, als raube er ihr die Zunge.

Vor dem Ende aber findet Julie die Sprache wieder, und in ihrem strindbergischen Blutrausch- und Rachemonolog zeigt Sibylle Canonica die Tragödin, die eigentlich in ihr steckt (und die eine jüngere Julie kaum darstellen könnte). Das reißt den Abend hoch, der gewiss auch mal ins unverbindlich Vertänzelte abzudriften droht. Im Kern jedoch verwandelt sich das schwerblütig nördliche Begehren in das elegantere Drama des „Désir“ à la Marivaux oder Musset („Man spielt nicht mit der Liebe“). Einen Selbstmord braucht’s dann nicht mehr, das Trio plant zum Schluss lieber eine Reise in den südlicheren Sommer: nach Como an den oberitalienischen See, den Strindberg freilich als „Regenloch“ bezeichnet hat.

Weitere Vorstellungen im Schloss Neuhardenberg vom 19. bis 22. August, jeweils 21 Uhr. Karten-Telefon: 033476 - 600 750.

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