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Leopold III. von Anhalt-Dessau, porträtiert von Lisiewsky.

© Heinz Fräßdorf

Lisiewsky-Ausstellung: Helden sehen anders aus

Wiederentdeckt: Eine Ausstellung feiert Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky. Der Barockmaler lebte auch in Berlin - die Spuren sind verwischt.

Durch Nacht zum Licht: Auf seinem um 1760 entstandenen Selbstbildnis grübelt der Maler Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky beim Schein einer einsamen Kerze über die Kunst nach, die für ihn Wissenschaft ist. Lisiewsky stellt sich als pictor doctus, als gelehrten Künstler dar. Sinnend schaut er zum Betrachter, die rechte Hand am Kinn. Der erhobene Zeigefinger und die Pinsel in der Hand bilden ein Kreuz. Alles ist vergänglich, bis auf die wahren Werke der Kunst. Die Interpretation dieses Bildes aus dem Staatlichen Museum Schwerin ließe sich beliebig weitertreiben. Überall versteckte Botschaften, bis zu dem den Betrachter fixierenden Hund – ein Freimaurersymbol. Lisiewskys Selbstbildnis ist ein Nachtstück, eine in den Niederlanden kultivierte Spezialität, die als Zeichen höchster malerischer Virtuosität galt.

Erfolgreiche Künstler inszenieren sich anders. Beliebt sind die Lauten, Bunten, Eindeutigen. Das war vor 250 Jahren nicht anders als heute. Lisiewsky war zu Lebzeiten nur bedingt erfolgreich. Die Nachwelt hat ihn dann allerdings so gründlich vergessen, dass bis heute keine kunstwissenschaftliche Dissertation, ja nicht einmal ein Aufsatz über ihn erschienen ist. Die Kuratoren der wunderbaren Lisiewsky-Ausstellung, die derzeit im Schloss Mosigkau bei Dessau und anschließend im Staatlichen Museum Schwerin zu sehen ist, betreten unberührtes Land. Sie tun es mit Entdeckerlust – und völlig zu Recht. Dieser Maler mit dem polnischen Zungenbrechernamen ist eine Sensation.

Dessau und Schwerin, das sind wichtige Stationen auf Lisiewskys Lebensweg. Dort war er Hofmaler, zwischen Anfang der 1750er Jahre und 1794, dem Todesjahr. Dazwischen lag, von 1772 bis 1779, ein Aufenthalt in Berlin: vielleicht so etwas wie eine Lebenskrise. Lisiewsky kehrt in die Stadt zurück, in der er 1725 in eine Dynastie von Porträtmalern hineingeboren worden war. Die Berliner Spuren sind, wie so oft, am gründlichsten verwischt. Auch die Ausstellung wird ohne Station in Berlin stattfinden.

Der vorzügliche Katalog bietet erstmals ein Werkverzeichnis, das rund 140 eigenhändige Arbeiten erfasst. Gut einhundert davon haben die Kriegswirren überstanden, nicht viel für einen Künstler, der rund 45 Jahre tätig war. Nun ergibt sich mit der Ausstellung die Chance, dass man weitere Werke Lisiewskys erkennt – und künftig auf dem Kunstmarkt höher bewertet. Noch spielen selbst Hauptwerke auf Auktionen selten mehr als 20 000 Euro ein.

Lisiewskys Biografie haben Helmut Börsch-Supan, Gerd Bartoschek, Wolfgang Savelsberg und weitere Kunsthistoriker detektivisch zusammengepuzzelt. Der Vater, Georg Lisiewsky, wandert aus Galizien über Stettin nach Berlin ein. Dort steigt er unter Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, der von Malerei die korrekte Wiedergabe von Uniformen erwartet, zum Hofmaler auf. Von Georg erbt Christoph Friedrich Reinhold die malerische Schwerblütigkeit. Auch Lisiewskys Schwestern Anna Dorothea, verheiratete Therbusch, und Barbara Rosina, in erster Ehe mit dem Berliner Hofmaler David Matthieu verehelicht, waren Porträtmalerinnen. Sie alle haben beim Vater gelernt. Ein Neffe, Georg David Matthieu, bekleidete die Hofmalerstelle im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin.

Malerei als Familienunternehmen und hoch spezialisiertes Handwerk. Die Ausstellung spannt den Bogen über alle malenden Familienmitglieder bis hin zur nur mäßig begabten Tochter Friederike Juliane Lisiewska und stellt Konkurrenten wie Anton Graff oder den sächsischen Hofmaler Louis de Silvestre vor. Lisiewskys Licht strahlt auch im direkten Vergleich, selbst wenn längst nicht jedes seiner Bilder ein Meisterwerk ist. Der Grund dafür ist banal: Lisiewsky war ein protestantisch-unbestechlicher Langsam-Maler, der jede Geste und Körperhaltung am lebenden Modell durchspielte, statt wie viele seiner Malerkollegen nur Kopf und Hände nach der Natur und den Körper nach einer Kleiderpuppe zu malen. Er habe, erinnerte sich Johann Gottfried Schadow, „Vortreffliches geleistet unter der Bedingung, dass die Modelle ihm 24 Sitzungen gewährten“. In seinen besten Bildern erreicht Lisiewsky eine stoffliche Intensität, die an Jan Vermeer van Delfts magisches Understatement heranreicht. Wie Lisiewsky die Haut von Christiane Elisabeth von Hohenthal, einer jungen Landadligen, kostbar wie Porzellan aufleuchten lässt, das ist große Malerei. Wie er Metallknöpfe malt, Borten und Spitzen, die aus dem Bild zu springen scheinen vor Lebendigkeit; wie er einen frechen kleinen Prinzen aus den Konventionen des barocken Standesporträts erlöst – all das macht deutlich, dass dieser Maler ein Zauberer gewesen ist.

Geschmeichelt hat er keinem seiner Modelle. Doch trotz Warzen, Hängebäckchen und Basedow-Augen treten uns Individuen entgegen, die noch immer bewegen. Zuweilen wirkt so viel Offenheit schockierend. 1782 malt Lisiewsky Friedrich den Großen als unrasierten, ein wenig verfetteten, verwahrlosten alten Mann. Dabei galt der preußische König schon zu Lebzeiten als strahlender Held.

Schloss Mosigkau bei Dessau, bis 31. Oktober, ab 10. Dezember im Staatlichen Museum Schwerin. Der im Deutschen Kunstverlag erschienene Katalog kostet in der Ausstellung 34,90 €.

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