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Fischer am Hafen von Piräus, wo schon 2010 gestreikt wurde.

© AFP

Literatur aus Griechenland: Geschichten von der Krise: Gottlos in Piräus

Christos Ikonomou, einer der interessantesten griechischen Gegenwartsautoren, erzählt von den Opfern der Krise: 16 Erzählungen, die den Nerv der Gegenwart treffen.

Ein Mann kauert auf einer Holzbank am Hafen von Piräus und blickt abwesend auf die großen Kreta-Fähren, wie sie am Pier andocken. Es ist Sommer, und er trägt eine orangerote Schweißerbrille, ein Weihnachtsgeschenk seines besten Freundes. Dabei ist der Mann kein Schweißer, er hat gerade seinen Job verloren. „Aus der Arbeit entlassen zu werden, ist wie ein gebrochener Knochen“, denkt er. Der graffitibemalte Poller wenige Meter vor seinen Füßen sieht mit dem Tau um den Hals aus wie ein Kopf in der Schlinge.

Einige Kilometer weiter hat Gott beschlossen, die Welt zu verlassen. Er kehrt heimlich zurück, nachts, wenn man Dinge sieht und hört, die tagsüber nicht existieren. Mao, ein verträumter, halbverrückter Junge, kahlrasiert, knochendürr, mit grimmigen schwarzen Augen, ist sein Prophet, er lauert in den menschenleeren Straßen. Statt mit den Menschen spricht er mit Katzen und herrenlosen Hunden.

Starke Bilder, die unter die Haut gehen. Der 43-jährige Christos Ikonomou hat den Band „Warte nur, es passiert schon was“ im Original schon 2010 veröffentlicht. Die 16 Erzählungen trafen einen Nerv. Sie handeln von armen, verzweifelten Menschen und spielen in jenen Gegenden von Athen und Piräus, die seit jeher die Heimat von Randexistenzen sind. Die Krise nahm gerade ihren Anfang, der Wohlstandstraum platzte, Ängste vor Sozialabstieg, Arbeitslosigkeit und Armut bestimmten das Lebensgefühl. Die Leser in Griechenland erkannten sich darin. Der Autor wurde zum Geheimtipp, seine Erzählungen erhielten den Staatspreis.

Ikonomou führt uns in die Stadtviertel, in denen früher die Kommunistische Partei, der Rembetiko und die Arbeiter zu Hause waren, die Speerspitze gegen die politische Repression. Hier ließen sich auch Mikis Theodorakis, Melina Merkouri und Giorgos Dalara inspirieren. Die Häuschen und Innenhöfe wurden zum Sinnbild eines idealisierten Proletariats, zum Identifikationsmodell eines neuen Griechenland, das aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs und des Bürgerkriegs entstehen sollte. Und heute? 2013 wohnen dort nach wie vor die Armen. Die Menschen sind wie erstarrt, rechnen mit dem Schlimmsten, Gewalt liegt in der Luft. In dieses Vakuum stoßen die Rechtsradikalen und „räumen auf“.

Der Publizist Ikonomou fängt dieses Klima genau ein. Man spürt die lauernde Aggressivität, die Hilflosigkeit gegenüber einer Bedrohung ohne Gesicht. Er hat die Krise bereits ausgemacht, als das Land noch mit einer Wohlstandschimäre lebte. Nun wird alles auseinandergenommen. Wie bei dem Paar, das den letzten Abend vor der Übersiedlung nach Bulgarien im dunklen Häuschen auf der Insel Salamis verbringt und tatenlos zuschaut, wie Leute die Steine der Gartenmauer abtransportieren, Stück für Stück, im Licht der Scheinwerfer ihrer Pick-ups. „Die nehmen mir Stück für Stück meine Welt weg“ lautet der Titel der Erzählung, der die Stimmung eines ganzen Volkes einfängt.

Das Cover-Motiv des Buchs, das bei C.H.Beck erschienen ist.
Das Cover-Motiv des Buchs, das bei C.H.Beck erschienen ist.

© C.H.Beck

Doch man wird den Erzählungen nicht gerecht, wenn man sie nur als Sinnbilder der Krise liest. Ikonomous Figuren sind dramatisch, poetisch und absurd zugleich. Da versucht ein Paar, mit Sekundenkleber an den Händen die Abschiebung des „Illegalen“, eines Migranten, zu verhindern. Oder ein Arbeiter will seiner Wut über den vertuschten Arbeitsunfall eines Freundes Ausdruck verleihen, weiß aber nicht, was er sagen soll. Sein Protestplakat bleibt eine Tafel ohne Worte.

Christos Ikonomou gelingt eine plastische Milieustudie der urbanen Unterschicht, mit viel schwarzem Humor. Seine Szenen sind theatralisch, die Dialoge könnten sofort auf die Bühne gebracht werden, sie sind in einem Idiom verfasst, das mit knappen Mitteln Welten öffnet. Übersetzerin Birgit Hildebrand hat die derbe und gleichzeitig poetische Sprache ebenso wie den Stakkato-Ton des Originals überzeugend ins Deutsche übertragen. Sensibler Blick, anspruchsvolle Prosa, eindringliche Szenen aus Welten, die sogar den meisten Griechen fremd vorkommen: Neben dem älteren Petros Markaris gibt es derzeit kaum einen anderen Autor, der das heutige Griechenland hierzulande so lebendig vertreten würde.

Christos Ikonomou: Warte nur, es passiert schon was. Erzählungen aus dem heutigen Griechenland. Aus dem Griech.

von Birgit Hildebrand, C.H. Beck, München 2013. 256 S., 19,95 €.

Kostas Kosmas

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