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Literatur: Recht hat, wem es prächtig geht

László Végel erzählt von Titos durch und durch käuflichem Jugoslawien. Nach einem halben Jahrhundert wird der Roman aus dem Ungarischen ins Deutsche übersetzt.

Der Titel trügt. „Bekenntnisse eines Zuhälters“ mit Schauplatz Osteuropa – das klingt nach einem weiteren Skandalbuch aus der Serie Rotlicht unterm Roten Stern. Etwas in der Art von Viktor Jerofejews Prostituiertenroman „Moskauer Schönheit“, nur dass in László Végels 1966/67 auf Ungarisch erschienenem, nun erstmals auf Deutsch vorliegenden Erstlingsroman eben keine Hure, sondern ein Lude zu Wort kommt und kein Russe, sondern ein Jugoslawe – genauer gesagt: ein Angehöriger der ungarischen Minderheit in der Vojvodina, im Norden Serbiens, der Végel selbst angehört. Wer sich auf voyeuristische Freuden mit den jugoslawischen Schwestern der Moskauer Schönheit freut, wird das Buch freilich rasch beiseitelegen. Denn mit dem Texterguss eines Jerofejew hat Végels Roman nichts gemein.

Sein Held und Ich-Erzähler Blue ist Literaturstudent in der Stadt Újvidék, hierzulande besser bekannt unter ihrem serbischen Namen Novi Sad. Und hinter den Zuhältern und Nutten, die der Titel verheißt, verbergen sich die Parteifunktionäre, Ingenieure, Literaten, kurz: die gesamte gute Gesellschaft im Tito-Staat. Denn längst haben Blue und seine Freunde erkannt: Die sozialistischen Parolen und Ideale, die die Erwachsenen so gerne im Munde führen, sind nur der Firnis über einer durch und durch käuflichen Welt. Man prostituiert sich, wie man nur kann, oder lässt andere für sich laufen. Manche tun beides zugleich. Wie der erfolgreiche Ingenieur, der Blue über das moralische Gesetz dieser Welt aufklärt: „Der hat recht, dem es prächtig geht.“ Im Beruf buckelt er um der Karriere willen, in der Freizeit macht er sich junge Frauen durch Erpressung gefügig.

Einen Roman über Verweigerung und Lüge hat László Végel sein in den frühen Sechzigerjahren spielendes Buch rückblickend genannt. Nicht Mitmachen, Anderswerden um jeden Preis lautet die Devise, nach der Blue und seine Freunde ihr Handeln ausrichten. Darin gleichen sie den Altersgenossen im Westen. Doch in Végels Roman gibt es keine Sit-ins, keine Inszenierungen einer selbstbewussten counterculture. Seine Helden frönen einem Heroismus des Aushaltens. Gut gekleidet und gleichgültig wie die Engel flanieren sie über den Korso. Ihr Ziel: „im Joch verbleiben, solange es geht“ und dabei „frustriert in sich hineinlachen“.

Wo der Staat selbst das Monopol auf die Revolution erhebt, deren Ideale er doch permanent verrät, kann die Revolte allein in der Absage an jegliches Ideal bestehen. „Damenmode“, antwortet Blue, nach dem Sinn seines Daseins befragt. Als Talisman trägt er die japanische Figur der drei Affen bei sich. Die besagt: Widerstehe dem Bösen, indem du es nicht siehst, hörst, aussprichst.

"Man muss sich außerhalb stellen und aufhören, im Mist herumzuwühlen"

Dass es von solchem Gleichmut gegenüber dem Bösen nur ein Schritt zu dessen Akzeptanz ist, weiß Blue selbst am besten. Längst hat auch er sich und andere verkauft. Weil ihm das Geld fehlte, um eine attraktive Funktionärstochter zu beeindrucken, stiftete er einst seine Vertraute Csicsi zum bezahlten Sex mit dem Schuldirektor an. Sein Dasein als Flaneur finanziert er, indem er dem erpresserischen Ingenieur bei der Beschaffung von Frauen assistiert.

In fiktiven Tagebucheinträgen schildert Végel den Versuch seines Helden, sich aus der Lüge zu befreien. Er tut dies ohne jedes Pathos, mit einem unbedingten Willen zur Kitschvermeidung und voller Misstrauen gegenüber jeder Ideologie. Am Ende ist es Csicsi, die Verkaufte, die Blue den Weg aus der Misere weist: „Wir müssen die großen Dinge vergessen. Man muss sich außerhalb stellen und aufhören, im Mist herumzuwühlen.“

Für Aleksandar Tišma markierte der Roman einen Meilenstein in der Literatur der ungarischen Minderheit. Végel habe mit seinem Debüt den „Komplex der Provinz“ überwunden. Tatsächlich ist die nationale Problematik in Végels Roman nur angedeutet. Dass Blue die Funktionärstochter nicht zuletzt deshalb begehrt, weil sie der dominanten Gruppe der Serben angehört, lässt sich zumindest erahnen. Doch der Konflikt zwischen Anpassungsdrang und authentischer Selbstbehauptung wird hier ins Existenzielle gewendet. Ein wiederkehrendes Bild zeigt den Helden, der alles negiert, wie er mitten auf dem Freiheitsplatz innehält und nicht mehr weiterweiß. Das könnte so auch bei Camus stehen.

László Végel: Bekenntnisse eines Zuhälters. Roman. Aus dem Ungarischen von Lacy Kornitzer. Matthes & Seitz, Berlin 2011. 251 Seiten, 19,90 €.

Bettina Kaibach

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