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Literatur: Reemtsma warnt vor Fixierung auf Opfer

Der Millionenerbe Jan Philipp Reemtsma, 1996 selbst Entführungsopfer, hat vor einer Fixierung auf die Opfer gewarnt. In Hamburg stellte er mit Autorin Sabine Rückert das Buch "Unrecht im Namen des Volkes" vor.

Hamburg - Darin schildert die Gerichtsreporterin der Wochenzeitung "Die Zeit" die Geschichte eines Justizirrtums, den sie mit aufgedeckt hat. Bei dem Fall handelt es sich um eine damals 18-Jährige, die Mitte der 90er Jahre Vater und Onkel zu Unrecht beschuldigt hatte, sie vergewaltigt zu haben. Beide Männer wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt und erst Jahre später freigesprochen.

"Die Stellung des Verbrechensopfers hat sich verändert. Das Buch macht auch die Kehrseite dieser Entwicklung deutlich", erläuterte Reemtsma. Das Buch hebe hervor, dass in allen Fällen die Wahrheit im Zentrum zu stehen habe. "Wir sind alle potenziell Verbrechensopfer, aber auch unschuldig Angeklagte", meinte der Sozialwissenschaftler. "Ich bin mir sicher, dass dies kein Einzelfall ist", unterstrich Autorin Rückert. Es müsse eine Stimmung geherrscht haben, die viele Menschen dazu geführt habe, willentlich die Augen vor Fakten zu verschließen.

Kritik an Justiz und Medien

"Der Status des Opfers ist nichts Positives, die mediale Fixierung auf diese Rolle eine Fortführung der Beschädigung", meinte Reemtsma. Auch Rechtsanwalt Johann Schwenn, der das Wiederaufnahmeverfahren und letztlich den Freispruch der beiden Unschuldigen erreicht hatte, kritisierte Justiz und Medien: "Die Fixierung auf das Opfer, auch auf das vermeintliche, führt dazu, dass derjenige, der an der Seite eines mutmaßlichen Täters steht, im Gerichtssaal und in den Medien schlechte Karten hat." Den Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" befolgten viele Medienvertreter schon lange nicht mehr. (tso/dpa)

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