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Literatur: Sommerstück, später

Wenn Politik nur noch ein Lebensgefühl ist: Bernard Schlinks Roman "Das Wochenende“.

Am besten wäre es gewesen, wenn es ihn vor fünfundzwanzig Jahren bei einer Schießerei erwischt hätte. Für Jörg, den Terroristen im Ruhestand, stellt sich die Frage, was nach seinem Kampf und der langen Zeit im Gefängnis noch folgen kann. Die Rückkehr ins bürgerliche Leben ist ihm ebenso unmöglich wie das Festhalten am „terroristischen Projekt“. Und die Freunde, die feststellen, „dass er ein falsches Leben mit hohem Einsatz gespielt hatte, um am Ende mit leeren Händen dazustehen“, können ihm auch nicht weiterhelfen. Wenn knallhart die Sinnfrage steht und Lebensbilanzen gezogen werden, hat der Terrorist keine guten Karten. Die Opfer täten ihm ja schon leid, gibt er zu. Aber es kann doch nicht alles falsch gewesen sein, nur weil der Kampf verloren wurde. Oder?

Bernhard Schlink hält in seinem neuen Roman „Das Wochenende“ Rückschau auf eine Epoche und das Leben einer Generation, die einst mit dem bewaffneten Befreiungskampf in den Ländern der sogenannten Dritten Welt sympathisierte. Im Mittelpunkt steht eine Figur, die in vielen Details an den RAF-Terroristen Christian Klar erinnert. Im Roman ist er tatsächlich vom Bundespräsidenten begnadigt worden. Seine Schwester, mit der ihn eine intensive Beziehung verbindet, holt ihn aus dem Gefängnis ab und organisiert zur Feier der Freilassung ein Wochenende mit Freunden in einem alten Landhaus, irgendwo in Brandenburg.

Die, die sich da versammeln, haben sich längst in ihren bürgerlichen Berufen und Lebensläufen erfolgreich eingerichtet: ein Journalist, ein Geschäftsmann, eine Bischöfin und ein Rechtsanwalt. Auch eine Lehrerin ist dabei, die durch das Geschehen inspiriert wird, selbst eine Erzählung über einen Terroristen zu schreiben. Die Frage, wer Jörg damals verraten hat und damit seine Verhaftung ermöglichte, entfaltet gruppendynamische Bewegung. Die Tochter eines der Freunde möchte ihn verführen, weil sie glaubt, seinen Berührungs- und Liebesmangel heilen zu müssen. Schließlich taucht auch noch Jörgs Sohn auf, um seinem Vater in schneidender Sohnesselbstgerechtigkeit Vorhaltungen zu machen. Er rückt die RAF in die Nähe der SS, wie es gerade Mode ist, und führt dabei unwillentlich vor, dass er in der Rigidität seines Urteils dem Vater nicht nachsteht.

Doch eigentlich geht es in Bernhard Schlinks Roman gar nicht um den Terrorismus. Was der entlassene Häftling zu den Gesprächen des Wochenendes beizusteuern hat, ist vernachlässigenswert schwach. Er spricht, wenn er überhaupt etwas sagt, wie vor fünfundzwanzig Jahren. Das revolutionäre Pathos ist noch da, wenn auch verholzt und verwachsen. Trotzdem hat dieser Jörg eine wichtige Funktion. Seine Anwesenheit zwingt die anderen dazu, sich mit ihren Lebenslügen auseinanderzusetzen. Er wirkt wie ein Katalysator, der permanente Rechtfertigungsreaktionen auslöst.

Sie sind alle um die sechzig oder älter und haben damit zu tun, dass ihr Leben relativ spurlos vorüberging. „Ohne dass sie widerlegt worden wären, sind Themen, Probleme, Thesen eines Tages einfach erledigt. Sie klingen falsch; wer sie vertritt, isoliert sich, wer sie leidenschaftlich vertritt, macht sich lächerlich.“ Solche Sätze zielen nicht nur auf den Alt-Terroristen, der den anderen immerhin den Entschluss zur ultimativen Tat voraus hatte. Es sind Sätze, die vom Verstreichen der Zeit und vom Älterwerden handeln.

Eine seltsam melancholische Stimmung macht sich im Landhaus breit. Kenneth Branaghs schöner Film „Peters Friends“ ist eine Referenz. Mehr noch erinnert die Szenerie an Christa Wolfs „Sommerstück“, das vom Rückzug der DDR-Intellektuellen aufs Land Ende der 70er Jahre handelt. Damals, nach Biermann-Ausbürgerung und einer Abwanderungswelle in den Westen, resignierten diejenigen, die noch an die Möglichkeit des Wandels geglaubt hatten. Bei Bernhard Schlink sind es die Alt-68er, die sich in ostdeutscher Naturidylle versammeln. Auch sie haben den Glauben daran verloren, gesellschaftliche Veränderungen aktiv bewirken zu können.

Wie Christa Wolfs „Sommerstück“ ist „Das Wochenende“ ein Spätbild der deutschen Romantik, die auch eine Epoche der Resignation gewesen ist. Die gesellschaftlichen Fragen haben sich in Befindlichkeiten verwandelt, Politik in Lebensgefühl. Zukunftsentwürfe sind nur noch ferne Erinnerungen an die eigene Jugend – sieht man einmal von den sich auch an diesem Wochenende neu ergebenden Liebesmöglichkeiten ab. Es wäre also falsch, den Roman als Beispiel für die aktuell diagnostizierte Rückkehr des Politischen in der deutschen Literatur zu sehen.

Schlink gliedert den Text in drei Kapitel für drei Tage von Freitag bis Sonntag. Als Erzähler bleibt er zurückhaltend. Seine Sprache ist schmucklos und karg. Die größte Sorgfalt legt er auf die Dialoge, in denen die einzelnen Ansichten manchmal etwas papieren und thesenhaft entwickelt werden. Die sommerliche Natur mit ihren Gerüchen und Geräuschen spielt dabei auch eine Rolle. Wie es sich für ein romantisches Sommerstück gehört, geht schließlich ein heftiges Gewitter nieder.

Bei Christa Wolf war es ein Brand, der die Gesellschaft aus ihrer dezent fatalistischen Selbstbezüglichkeit hochschrecken ließ. Bei Bernhard Schlink steht bald der Keller unter Wasser, und die Wochenendgäste finden die Gelegenheit zur Tat. Beim Kettenbilden mit Eimer sind dann alle ein bisschen glücklich, auch wenn es sich nur um eine Parodie einstiger Gemeinschaftsutopien und Weltrettungssehnsüchte handelt.

Bernhard Schlink: Das Wochenende. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2008, 226 Seiten, 18,90 €.

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