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Liebhaber der guten Literatur. Kritiker Denis Scheck.

© Hendrik Schhmidt / dpa picture alliance

Literaturkritik von Denis Scheck: Tod & Trost

Der Literaturkritiker Denis Scheck bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“.

10) Matthias Thöns: Patient ohne Verfügung (Piper, 320 S., 22 €)

Wie wir sterben, wer ein Interesse daran hat, Sterbende in die Hölle der Apparatemedizin zu schicken und wer unterm Strich an unserem Sterben dort verdient: Diese Fragen stehen im Mittelpunkt dieses im besten Sinn aufklärerischen und teilweise schockierenden Buchs des seit über 20 Jahren in der Palliativmedizin tätigen Arztes Matthias Thöns. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Lektüre dieses Sachbuchs ohne Folgen für das eigene Leben und Sterben bleibt.

9) Rainer M. Schießler: Himmel, Herrgott Sakrament (Kösel, 256 S., 19,99€)

Schnurren aus dem Leben eines populären Münchner Pfarrers: streckenweise amüsant, aber zu selbstverliebt und belanglos.

8) Bruno Preisendörfer: Als unser Deutsch erfunden wurde (Galiani, 496 S., 24,99 €)

Die Idee einer feuilletonistisch locker verknüpften Zeitreise ins 16. Jahrhundert besitzt Charme, und Preisendörfers wissenspraller Streifzug durch Lebensräume der Reformationszeit liest sich süffig, wenngleich einige Binsen durch ein strengeres Lektorat vermeidbar gewesen wären: „Ohne Dürer gäbe es keine Dürerzeit. Ohne Luther wiederum hätte es die Lutherzeit nicht gegeben, so wenig, wie es eine Lutherbibel ohne Luther geben kann.“ Wer hätte das gedacht?

7) Wilhelm Schmid: Gelassenheit (Insel, 119 S., 8 €)

Hinter dem unaufgeregten Titel dieses Büchleins, das sich nun schon seit Jahren auf Spitzenplätzen in der Bestsellerliste hält, verbirgt sich eine recht radikale Auseinandersetzung mit unserer Sterblichkeit. Der philosophische Trost, den Wilhelm Schmid anzubieten weiß, lässt uns dem Tod etwas gefasster ins Auge blicken.

6) Rainer Wendt: Deutschland in Gefahr (Riva, 220 S., 19,99 €)

Warum unsere Justiz konsequenter gegen Falschparker vorgeht als gegen Prügler, Einbrecher oder Betrüger, lässt sich aus diesem Buch des Polizisten und Gewerkschafters Rainer Wendt erfahren. So erhellend seine Innenansichten aus der Polizeiarbeit sind, so sehr hätte diesem Buch weniger Alarmismus und mehr Struktur gut- getan. In dieser Form haftet Wendts Buch ein Hautgout von Stammtisch an, der sich mitunter in logisch wirren Aussagen niederschlägt wie: „Und ja, die Jugendkriminalität sinkt. Rein statistisch. Neueste Befragungen zeigen, dass die meisten jungen Menschen eher konservativ, leistungsorientiert und angepasst daherkommen und Kriminalität eher die Ausnahme bleibt. Anlass zur Entwarnung ist das nicht, im Gegenteil.“ Wie bitte? Was wäre denn dann Anlass zur Entwarnung?

5) Der Dalai Lama mit Franz Alt: Der Appell des Dalai Lama an die Welt (Benevento, 56 S., 4,99 €)

Das geistliche Oberhaupt der Tibeter ruft zu weniger Religion im öffentlichen Raum auf: ganz sicher eine gute Idee, aber es ist fast die einzige Idee in diesem ärgerlich substanzarmen, durch quälende Redundanzen auf Büchleinlänge gestreckten Interviewband.

4) Benedikt der XVI im Gespräch mit Peter Seewald: Letzte Gespräche (Droemer, 288 S., 19,99 €)

Wer eine selbstkritische Auseinandersetzung mit den Erfolgen und Versäumnissen des Pontifikats des deutschen Papstes erwartet, wird enttäuscht werden. „Wichtig ist nicht, wie die Journalisten das beurteilen“, so Ratzinger, „sondern der liebe Gott.“ Und dieser ist bekanntlich mit den Bayern. Diese Haltung imponiert und irritiert gleichermaßen. In diesem Buch begegnet man einem 89-Jährigen, dem der Glaube mit dem Alter erstaunlicherweise nicht leichter fällt, der „die Schwere der Fragen viel stärker“ empfindet, „auch den Druck der Gottlosigkeit heute, den Druck der Abwesenheit des Glaubens bis tief in die Kirche hinein, und dann eben auch die Größe der Worte Jesu Christi, die sich der Auslegung oft mehr entziehen als früher.“ Ich muss zugeben, mich hat diese spirituelle Bilanz des Glaubenshaushalts eines Greises beim Lesen mehr und mehr fasziniert. Josef Ratzinger erklärt, dass er „immer wieder daran denke, dass es zu Ende geht. Das Wichtige ist eigentlich nicht, dass ich mir das vorstelle, sondern dass ich in dem Bewusstsein lebe, das ganze Leben geht auf eine Begegnung zu.“ Dieses Bewusstsein teilt er mit Vladimir und Estragon in Becketts „Warten auf Godot“.

3) Marina und Herfried Münkler: Die neuen Deutschen (Rowohlt Berlin, 336 S., 19,95 €)

Der schön doppeldeutige Titel spielt sowohl auf die in Deutschland angekommenen Migranten als auch auf die sich durch die Auseinandersetzung mit den Flüchtlingen verändernden Deutschen an. Wohltuend unaufgeregt klagt das Autorenehepaar Münkler eine Einwanderungspolitik nach australischem oder kanadischem Vorbild ein und argumentiert zwingend, was jetzt getan werden muss, damit die Migranten wirklich in Deutschland ankommen. In der aktuellen Debatte über unseren Umgang mit den Flüchtlingen lässt sich in diesem klugen Buch genau das Rüstzeug sammeln, das wir brauchen zur Beantwortung der Frage: Was ist deutsch?

2) Peter Wohlleben: Das Seelenleben der Tiere (Ludwig, 239 S., 19,99 €)

Lassen sich Kategorien zur Beschreibung des menschlichen Seelenlebens wirklich auf die Tierwelt übertragen? Gibt es dort Hass oder Liebe, Bosheit oder Eifersucht? Trauern Hirschkühe? Empfinden Eichhörnchen Mutterliebe? Kennen Waldmäuse Empathie? Niemanden wird überraschen, dass jemand wie der Förster Peter Wohlleben, der schon in seinem Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ Solidarität unter Bäumen beschrieb, nun in der Tierwelt die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen entdeckt.

1) Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume (Ludwig, 239 S., 19,99 €)

Auch wenn in manchen Ausführungen Wohllebens das aufblitzt, was die Briten „pathetic fallacy“ nennen, also die Vermenschlichung der Natur, so erzählt Peter Wohlleben doch so faktenreich und unterhaltsam, dass ich seine Bücher gern und mit Gewinn gelesen habe.

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