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Umstritten. Der Literaturnobelpreisträger Mo Yan bei einer Pressekonferenz in seiner Heimatstadt Gaomi in der ostchinesischen Provinz Shandong.

© AP

Literaturnobelpreis: Es muss immer einen geben, der nicht weint

In seiner Stockholmer Nobelpreisrede spricht Mo Yan darüber, wie er zum Schriftsteller wurde. Seinen Kritikern antwortet der Chinese mit parabelhaften Geschichten

Als der chinesische Schriftsteller Mo Yan am Freitagabend im Stockholmer Börsensaal am Ende seiner Nobelpreisrede angelangt ist, bekommt diese etwas Mantrahaftes: „Ich bin ein Geschichtenerzähler“ betont er. Und: „Weil ich ein Geschichtenerzähler bin, wird mir der Nobelpreis für Literatur verliehen. Viele wunderbare Geschichten haben sich nach der Verleihung dieses Preises zugetragen; Geschichten, die mich in meinem Glauben, dass Wahrheit und Glauben existieren, bestärkt haben. Ich werde auch weiterhin meine Geschichten erzählen.“

Die Geschichte aber, die sich in diesen Stockholmer Wintertagen schon vor der traditionellen Rede des Literaturnobelpreisträgers und der offiziellen Verleihung am Montag zugetragen hat, ist nicht ganz so wunderbar, hat Mo Yan doch seinen Kritikern, von Herta Müller bis Ai Weiwei, einmal mehr Nahrung gegeben, als er auf einer Pressekonferenz Zensur „als notwendiges Übel gegen Gerüchte“ bezeichnet hatte: „Es gibt Zensur in jedem Land. Unterschiedlich ist nur der Grad.“ Und als Begründung, warum er eine Petition von 134 Nobelpreisträgern zugunsten der Freilassung des inhaftierten chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo nicht unterzeichnen will, gab er an: „Wenn mich jemand zwingen will, meine Überzeugung zum Ausdruck zu bringen, dann tue ich das nicht.“

Das waren alles andere als geschickte Äußerungen. Seine Rede einen Tag später lässt sich dann auch als eine beharrliche Weigerung interpretieren, die Verleihung des Literaturnobelpreises in politische Zusammenhänge zu stellen; als die Abwehr einer allzu offensichtlichen politischen Aufladung. „Die Geschichtenerzähler“ hat Mo Yan sie überschrieben, und auf die Debatten, die seit Bekanntmachung der Auszeichnung im Oktober geführt wurden, antwortet er nun mit mehreren, parabelhaften Geschichten. Eine handelt von dem Mut eines Mitschülers, der sich, anders als seine Klassenkameraden, (darunter Mo Yan) nicht verstellte, als es hieß, bei einer Ausstellung „über das Leid unseres Volkes“ Mitgefühl zu heucheln: „Wenn alle weinen, sollte es einen geben, der nicht weint.“ Eine andere davon, wie der junge Soldat Mo Yan von einem Kommandeur ignoriert wurde, als dieser in sein Büro kam, „wie, keiner da?“ murmelte und von ihm die lautstarke Antwort bekam: „Bin ich etwa niemand?“ Warum er sich dann deshalb nach langen Jahren des Stolzes darüber, einem Vorgesetzten die Stirn geboten zu haben, später „eher Vorwürfe“ machte, erschließt sich nicht und wird von Mo Yan auch nicht erklärt.

Offensichtlicher ist das Bild, das er für die Anwürfe gegen ihn wählt, sein Umgang damit: „Ich fühle mich wie ein Theaterbesucher, der dem Treiben auf der Bühne zusieht. Ich sehe, wie ein Preisträger mit Blumen überhäuft, aber auch mit Steinen beworfen und mit Dreckwasser überschüttet wird.“ Die Figur aber, die nichts mit ihm zu tun hat, steht wacker wieder auf „und sagt zum Publikum: Für einen Schriftsteller ist der beste Weg sich zu äußern, das Schreiben. Alles was ich zu sagen habe, steht in meinen Werken.“

Also handelt der Hauptteil von Mo Yans Rede davon, wie er zum Schriftsteller wurde. Er erinnert sich an seine 1994 verstorbene Mutter, an Szenen aus seiner Kindheit, wie er sein Dasein als hässliches Kind und Jugendlicher in dem Dörfchen Gaomi im Kreis Dongbei überstand; wie er von Geschichten umgeben war und nach diesen lechzte. Und wie Gaomi sein auch wichtigster literarischer Bezugspunkt wurde: durch die Lektüre von García Márquez’ und Faulkners Büchern, die ihn entdecken ließ, „dass ein Schriftsteller seinen eigenen Ort braucht, der nur ihm gehört.“ Es folgt ein Blick in seine Bücher, in das „Das rote Kornfeld“ oder seine Romane „Die Knoblauchrevolte“ und „Die Sandelholzstrafe“. Und das Geständnis, dass der Junge, der in der Erzählung „Durchsichtiger roter Rettich“ als Hauptfigur kein Wort von sich gibt, viel von ihm habe, und, dass dieser seine „Leitfigur“ sei. Nicht zuletzt ist Mo Yan ja auch ein Pseudonym und bedeutet „der Sprachlose“. Geboren wurde der Literaturnobelpreisträger als Guan Moye.

„Eine Geschichte von großer Tiefe“ nennt er die Rettich-Geschichte dann noch, gänzlich unbescheiden. Das lässt sich von seiner Rede nicht immer sagen, sie hat mitunter etwas Hintergründiges, ist in einigen Teilen aber auch von großer Schlichtheit. Insbesondere wenn er mehrmals betont, dass seine Figuren aus dem wirklichen Leben stammen, seiner Umgebung, Familie, er diese aber natürlich literarisiert habe.

Verzwackter wird es in der Passage, in der er doch einmal auf das Politische seines Schreibens kommt. „Ein Schriftsteller ist Teil der Gesellschaft; selbstverständlich hat er seinen eigenen Standpunkt und seine eigene Meinung, doch ein Erzähler muss beim Schreiben den Standpunkt der Allgemeinheit einnehmen und lässt damit alle Menschen an seinem Werk mitschreiben. Einzig auf diese Weise kann sich Literatur einem Thema widmen, aber gleichzeitig darüber hinausgehen, kann politisch sein, dabei aber über die Politik hinausgehen.“

Darüber lässt sich streiten (Allgemeinheit? Wer ist das? Muss ein Erzähler deren Standpunkt einnehmen?), aber an diesem Punkt beginnt Mo Yan eine Poetologie zu entwickeln. Er erwähnt „das Diffuse, dass jedem Menschen innewohnt“, das Problem von Kategorien wie Gut und Böse, Richtig und Falsch, den Anspruch, über das Politische hinauszuwollen: „Das ist das weite Terrain, auf dem ein Schriftsteller seinem Talent freien Lauf lassen kann.“

Seine Kritiker dürfte der Nobelpreisträger mit dieser Rede und dem Beharren auf das Erzählen von Geschichten kaum zufriedenstellen. Und so schwer er es in seinen jungen Jahren gehabt hat und auch als nicht explizit regimekritischer Schriftsteller in China haben mag: Im Umgang mit seinen Kritikern macht er es sich etwas zu leicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Äußerung, die der mit ihm befreundete und um „seine Macken“ wissende Schriftsteller Yu Hua letzte Woche im Münchener Literaturhaus gemacht hat: „Er ist kein regierungsfreundlicher Schriftsteller (....). Dass Mo Yans Stellung in der chinesischen Gesellschaft immer besser wird, scheint mir darauf zurückzuführen zu sein, dass die Gesellschaft doch liberaler wird und dass auch Figuren wie Mo Yan akzeptiert werden.“

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