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Kultur: Lob der Welt

Die Shortlist für den Deutschen Buchpreis

So gehört sich das für eine unabhängige, nicht in ökonomischen Kategorien denkende, sondern nur der Literatur dienende Buchpreis-Jury: Sie muss mutig sein, sie muss große Namen und viel diskutierte Titel ignorieren können. Und sie muss sich nicht zuletzt von den Jurys der vergangenen Jahre abheben wollen: Wir können auch anders. Also hat diese Jury nun von ihrer Longlist sechs Finalisten für den am vierten Oktober im Frankfurter Römer zum sechsten Mal vergebenen Deutschen Buchpreis gewählt, die man zum großen Teil nicht erwartet hätte. Weder Thomas Hettche mit „Die Liebe der Väter“ noch Martin Mosebach mit seinem Paarroman „Was davor geschah“ stehen auf der Shortlist, noch Hans-Joachim Schädlich, Andreas Maier oder Andreas Schäfer. Dafür Melinda Nadj Abonji mit ihrem Roman über eine ungarisch-serbische Familie in der Schweiz, „Die Tauben fliegen auf“, und Doron Rabinovici mit seiner jüdischen Identitätsgeschichte zwischen Wien und Tel Aviv, „Andernorts“. Dazu kommen Judith Zander mit ihrer vorpommerschen Ost-West-Saga „Dinge, die wir heute sagten“, Peter Wawerzineks Mutterabrechnung „Rabenliebe“ und Jan Faktors wahnwitziger Roman über seine Prager Jugend und das Aufwachsen in einem jüdischen Frauenhaushalt, dessen Wahnwitz sich allein in diesem prachtvollen Titel zeigt: „Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimsbams von Prag“. Und nicht zu vergessen: Thomas Lehrs 9/11- und Irak-Kriegs- und Väterroman „September. Fata Morgana“.

Mit Lehr und Wawerzinek war gerechnet worden. Mit Faktor bedingt, mit den drei anderen Titeln gar nicht, wiewohl trotz der auffallend wenigen Frauen auf der Longlist eine reine Männer-Shortlist undenkbar gewesen wäre. Diese Shortlist ist insofern ohne die vermeintlichen Stars eine merkwürdige, aber originelle. Und sie gehorcht konsequent der Longlist-Auswahl, stammten dort doch die Hälfte der Titel von Autoren, die nicht allein deutscher, österreichischer oder schweizerischer Herkunft sind, die in Tel Aviv und Tiflis geboren wurden oder russisch- oder serbischstämmige Elternhäuser haben. Die Globalisierung ist im deutschsprachigen Literaturbetrieb angekommen. Einfach nur über die Liebe von Vätern oder die Liebe überhaupt zu schreiben, reicht nicht mehr; komplizierte Herkunftsgeschichten und Geschichten über den Einbruch politischer Katastrophen ins Private sind zeitgemäßer und rocken besser.

Wenn deshalb aber die Jury die ach so beliebte „Welthaltigkeit“ als größten gemeinsamen Nenner der sechs ausgewählten Titel bezeichnet, dann möchte man sich am liebsten sofort mit Andreas Maier und seinen Büchern „Onkel J.“ oder „Das Zimmer“ ins Bad Nauheim der sechziger Jahre begeben, ins Forsthaus Winterstein oder in die Schillerlinde. Welthaltigkeit gibt es hier auch, literarische sowieso. Nur trendy ist sie gerade nicht. Gerrit Bartels

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