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Kultur: Lolitas Locken

Noch ein „Soprano“: Nicole Cabell präsentiert ihre erste Solo-CD

Das Rezept ist nicht schwer, gelingt fast immer und wird insofern gerne auch ohne erstklassige Zutaten nachgekocht. Man nehme: Jede Menge Fleiß, Talent und Stehvermögen, ein ausreichendes Stück vom ganz dicken Fell, eine grundsolide Ausbildung, ein apartes, vor allem: fotogenes Äußeres, eine halbwegs exotische Herkunft, ein möglichst noch viel exotischeres Hobby, ein oder zwei prominente Fürsprecher sowie die nötige Portion Glück in Form eines Wettbewerbsgewinns oder eines spektakulären Einspringens – und schon steht er sperrangelweit offen, der Himmel der amtierenden Superstarsopranistinnen und -tenöre. (Die Damen und Herren aus dem Mezzo-, Alt-, Bariton- oder Bassfach tun sich da erfahrungsgemäß schwerer, tiefe Töne lassen den Götterfunken offenbar nicht so schnell überspringen.)

Die Kalifornierin Nicole Cabell – dem Berliner Publikum aus Gounods „Roméo et Juliette“ und Mozarts „Idomeneo“ in dieser Saison an der Deutschen Oper noch recht frisch in Erinnerung – erfüllt die genannten Zutaten (und Klischees) in einer Weise, dass einem angst und bange werden könnte. Nicht nur, dass sie afro- amerikanisch-europäisch-koreanische Wurzeln vorzuweisen hat („meine bunt gemischte Abstammung ist ein wichtiger Teil von mir“), ihr Großvater war obendrein der erste afro-amerikanische Polizeipräsident von Los Angeles. Das allein taugte zweifellos schon zu einer rührenden West Coast Story.

Cabell wuchs in der Nähe von Santa Barbara auf, nahm an der Lyric Opera von Chicago am Programm für junge Künstler teil und gewann im Sommer 2005 den renommierten BBC-Wettbewerb „Cardiff Singer of the World“. Die Siegerinnentrophäe sieht zwar aus wie ein fünf Maß fassendes bayerisches Weißbierglas, ist dafür aber aus echtem Kristall und wurde Cabell von keiner Geringeren als von Joan „La Stupenda“ Sutherland überreicht. „Mach nicht zu viel zu schnell!“, soll die australische Primadonna dem Küken bei der Preisverleihung zugeraunt haben. Das scheint dieses sich so sehr zu Herzen genommen zu haben, dass wenig später bereits eine weitere Heroine des Gesangsfachs, die Koloraturmezzosopranistin Marilyn Horne, konstatierte: „Nicole wird ein wunderbares Leben als Musikerin haben.“

Dies alles bedeutet wahrlich noch nichts Böses. Auch dazu, dass Cabell postwendend einen Exklusivvertrag bei der Decca angeboten bekam und neuerdings als „Bohème“-Musette im Kometenschweif von Anna Netrebko & Rolando Villazon reüssiert, ist sie gewiss nur zu beglückwünschen (die Aufnahme erscheint demnächst). Allein, es bleibt ein Unbehagen. Da ist zum einen die Tatsache, dass die junge Sängerin sich auf den Fotos zu ihrer unlängst veröffentlichten ersten Solo-CD „Soprano“ selbst kaum wiedererkennen dürfte. Schicke Klamotten, Korkenzieherlöckchen und ein Hauch Lolita sind das eine. Wenn allerdings auf Bildern wie diesen das ach so sorgsam gepflegte Multi-Kulti-Image regelrecht weggeschminkt und wegretouchiert wird, zugunsten eines, nun ja, einträglicheren, weil Kunden kompatibleren Euro-Looks, dann wird die Sache doch bedenklich. Nur wer als Frau mehr oder weniger so aussieht wie die Musik, wird mit dieser gewinnträchtig identifiziert? (Das gilt im Übrigen auch für Lang Lang, der im echten Leben eine weitaus „asiatischere“ Physiognomie besitzt als auf allen Covers und Postern.)

Zum anderen dürfte Cabells Sopran bei weitem nicht die Vielseitigkeit und Flexibilität besitzen, die das CD-Programm leichterdings verspricht (Gounod, Menotti, Delibes, Gershwin, Tippett, Berlioz . . .). Die Tiefen (!) sind ausgesprochen schön, rund und vollmundig- sonor, da merkt man, dass die Stimme über ein gesundes und jenseits des Lyrischen wohl noch ausbaubares Fundament verfügt. Außerdem weiß Cabell in den Farben ziemlich fein zu differenzieren, zwischen dem italienischen und dem französischen Repertoire, zwischen einem Gershwin-Schlager und einem Belcanto-Reißer wie Bellinis „Oh! quante volte“. Auch dass fast jede Art von Koloraturen und gurgelndem Zierwerk ihre Sache nicht wirklich sind, verzeiht man ihr. Da fehlt ganz einfach die Geläufigkeit, der Wille zur Virtuosität, wird vieles mit Druck und nervös-flackernden Vibrati kaschiert. Das muss ja nicht sein.

Seltsam aber, dass man kaum je das Gefühl hat, jene größeren oder kleineren stimmlichen Schwächen könnten Cabells Jugend zuzuschreiben sein. Im Gegenteil: So staubfrei die Studiotechnik, so indifferent ihr Timbre und so verwechselbar der Ausdruck. Als fielen die heutigen Klassik-Stars allesamt fixfertig vom Himmel auf die Erde, labeltauglich und insofern: perfekt. Als gäbe es gar kein Risiko mehr, nicht im Leben und nicht in der Kunst. Dagegen anzusingen, Abend für Abend, stellt eine nicht zu unterschätzende Bürde dar.

Nicole Cabell, „Soprano“ (Decca).

Morgen ist die Sängerin an der Deutschen Oper Berlin als Pamina in Mozarts „Zauberflöte“ zu erleben. Beginn 19.30 Uhr.

Christine Lemke-Matwey

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