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Kulturstaatssekretär Tim Renner.

© Eventpress HerrRad

Fragestunde mit Tim Renner: Lotterie mit Staatssekretär

Fragen an den neuen Hoffnungsträger: Wie sich Kulturstaatssekretär Tim Renner beim Branchentreff der freien Szene aus der Affäre zieht

Tina Pfurr, die Leiterin des Ballhaus Ost, will erstmal eine Sorge loswerden: „Muss ich jetzt eigentlich immer Herr Staatssekretär sagen?“ Wäre ja grauenhaft. So viel Förmlichkeit. Der Titelträger kann sie aber schnell beruhigen: „Du darfst mich auch gerne Tim nennen.“ War ja vorher auch nicht anders. Vor dem Amt.
Tim Renner, in voller Berufsbezeichnung Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten des Landes Berlin, ist ein Politiker, der auf keinen Fall wie einer auftreten möchte. Entsprechend jovial steht er auch beim „ Branchentreff der freien darstellenden Künste“ im Ballhaus Ost auf der Bühne. Ganz Kumpeltyp, immer leicht zerknautscht, aber mit hellem Köpfchen. Struppi-Tim, der Mann, dem die Szene vertraut. In den sie jedenfalls große Hoffnungen setzt.
„10 Fragen an Tim Renner“ heißt die Veranstaltung, die der Landesverband freie darstellende Künste Berlin ausrichtet. Die Hauptstadt-Künstler durften vorab alles aufschreiben, was sie schon immer vom Staatssekretär wissen wollten. Aus dem großen Topf wurden zehn Fragen gelost, die abwechselnd Tina Pfurr und der gebürtige Israeli Nir De Volff vortragen, Choreograf der Company Total Brutal. Perfekte Gelegenheit, das politische Profil des Quereinsteigers aus der Musikwelt zu schärfen. Und Renner auch persönlich besser kennenzulernen. Die erste Prüfung lautet: „Was war Ihr schönstes Theatererlebnis?“ Antwort ohne langes Überlegen: „Die Erscheinungen der Martha Rubin“. Jene leicht verquaste Rund-um-die-Uhr-Installation der Gruppe Signa also , die 2008 während des Theatertreffens in der Lokhalle des Schöneberger Südgeländes zu erleben war.
Für die forcierte Tuchfühlung müssten jetzt Fragen nach Hobby und Lieblingsessen folgen. Aber es wird dann doch etwas fachspezifischer. „Wenn die freie Szene eine junge Band wäre – wie würden Sie sie managen?“ Da ist Renner, der vormalige Gründer des Labels Motor Music und spätere Universal-Chef, natürlich in seinem Element. Weswegen er für die vielversprechende Combo auch gleich einen Drei-Punkte-Plan parat hat: Erstens überlegen, was das Spezifische, Besondere an der Gruppe ist. Dann ausmachen, wie die Arbeitsteilung innerhalb der Band aussehen soll. Und schließlich schauen: „Wo sind die Ressourcen? Wo ist das Geld?“ Nachsatz: „Ich such’s auch gerade.“ Großes Gelächter.

Tim Renner ist, ganz wertfrei, ein Marketingprofi. Man kauft ihm seine unkomplizierte Art ab. Wie auch das Knowhow, das er sich draufschafft.Er weiß genau, welche Staffelmiete das Ballhaus Ost zu zahlen hat. Lässt aber auch gern die Anekdote einfließen, dass er erst nach der zweiten Flasche Wein mit dem Regierenden Bürgermeister eingewilligt habe, den Staatssekretärs-Posten mal in Erwägung zu ziehen. Das kommt an in der freien Szene. Nicht, dass sie mit Amtsvorgänger André Schmitz gefremdelt hätte. Der wurde auch für Eloquenz und guten Draht zu den Künstlern geschätzt. Blieb aber letztlich doch auf Distanz. Der Mann vom Schloss.
Und natürlich haben sie ihm in der Szene das Desaster mit der City Tax nicht verziehen. Erst dieses monatelange Ringen um eine Beteiligung an den Einnahmen. All die Beistandsbekundungen aus der Kulturpolitik. Und am Ende ging man komplett leer aus. „Das war große Scheiße“, stellt auch Renner in Schimanski-mäßiger Deutlichkeit klar. Da kann er nur zum erneuten Kampf ermuntern. Auch wenn es jetzt noch schwieriger wird, „weil die Mittel bereits in den Haushalt eingestellt sind.“
Ein typischer Renner. Diese Mischung aus Hoffnung machen und Erwartungen dämpfen. Erst erklärt er sich zum „Anwalt der freien Szene“. Dann schiebt er nach, dass ein seriöser Anwalt nie behaupten würde, den Prozess zu gewinnen. Aber sein Bestes geben werde.
Der Staatssekretär hat natürlich Recht, wenn er auf dem Branchentreff noch mal betont, dass er als Chef der Verwaltung die Exekutive vertritt. Nicht die Legislative („Die Schlacht wird bei den Abgeordneten geschlagen“). Wer überhaupt der Adressat für die Anliegen ist – da herrscht im Dialog zwischen freie Szene und Politik nicht selten Verwirrung.
Insofern schon richtig, dass Renner nicht dazu einlädt, seinen Gestaltungsspielraum zu überschätzen. Bislang ist er der Mann für den neuen Ton. Weniger für die neuen Inhalte. Er will „das blöde arm aber sexy“ hinter sich lassen. Will verhindern, dass aus der Hauptstadt ein „Ghetto des Turbokapitalismus“ wie London wird, wo er als junger Mensch noch die blühende Punk- und New-Wave-Szene erlebt hat. Er möchte auch nicht, dass sie wie Barcelona wird. Eine Malle-Metropole für Chartertouristen. Stattdessen soll Berlin als „Stadt der Freiheit und Diversität“ neu gebrandet werden. Klingt gut.

Die Wut von Künstlern in der Armutsfalle kann Renner nachvollziehen

An der Spree wird ein Kampf um Geld und Raum geführt. Nicht nur von der freien Szene. Renner weiß das, und mit Michael Müller wird er bald wohl einen Kultursenator als Chef haben, der das Ringen um Liegenschaften aus dem Ressort Stadtentwicklung kennt. Gemeinsam strebe man eine Kursänderung an, verspricht Renner. Konkret: die Kommunikation zwischen der Verwaltung und den Bezirkskulturstadträten soll verbessert werden. Sie sollen schneller bedrohte Gebäude in kultureller Nutzung melden. Wie das Rathaus Friedenau, wo das Theater Morgenstern seine Heimat zu verlieren droht. Oder solche Räume, die für kulturelle Zwecke geeignet wären. Damit man rechtzeitig beim Finanzsenator vorstellig werden könne, wo über die Zukunft der landeseigenen Immobilien verhandelt wird. Ob Renner nicht doch manchmal mit Wehmut an die Tage mit Rammstein oder Tocotronic im Musikbusiness zurückdenkt, wenn er über Bezirkskulturstadträte oder Ensembles referieren muss, die „Zwerg Nase“ in Friedenau aufführen? Falls ja, lässt er es sich nicht anmerken. Der Mann hat seine Zahlen parat. Mit 66 Milliarden Euro steckt die Konsolidierungsstadt Berlin in den Schulden. 75 Prozent der Berlin-Besucher kommen wegen der Kultur. Laut Friedrich-Ebert-Stiftung werden im Jahr 2020 über 60 Prozent der Berlin-Zuwanderer kreativen Clustern entspringen. Also: Kultur muss als Wirtschaftsfaktor verkauft werden. Darf aber gleichzeitig"nicht ökonomisiert werden. Noch so ein Renner-Spagat. Tina Pfurr und Nir De Volff ziehen dann noch eine Frage aus dem Umschlag. Sinngemäß: „Was sagen Sie zu einem Berliner Künstler, der in der Armutsfalle steckt?“ Renner schaut ernst. „Ich kann seinen Ärger absolut verstehen“, sagt er. Und dass man versuchen werde, für die anstehenden Verhandlungen über den Doppelhaushalt 2016/17 das Bestmögliche für die Kultur herauszuholen. Pfurr schaut dankbar und sagt dann den Satz, der das gegenwärtige Verhältnis zwischen der freien Szene und dem Staatssekretär auf den Punkt bringt: „Wenigstens hat dem Künstler mal jemand zugehört.“

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